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desbildung. Der Stoff trat in den Mittelpunkt des ganzen Er¬
ziehungssystems, das Kind als solches mit seinen Bedürfnissen
blieb völlig unberücksichtigt. Zn einer Zeit aber, welche die neue
Wahrheit gebar, daß die Welt nicht vollgepfropfte Wissenssäcke,
sondern Menschen mit ausgeprägter, schöpferischer Kraft braucht,
und damit Hunderttansenden von Vätern und Müttern und Tau¬
senden von Lehrern die plötzliche Erleuchtung brachte, daß die
Hauptaufgabe der Erziehung darin bestehen müsse, alle schöpfe¬
rischen Kräfte im Kinde zu wecken und zu fördern, kurz, zu ent¬
wickeln (Scharrelmann, Weg zur Kraft: „Aber Kräfte wecken und
diese so stark wie möglich zur Tätigkeit anregen, das ist das ganze
Geheimnis der Pädagogik.") — zu einer solchen Zeit das Ge¬
rümpel überlieferter Erziehungstorheiten vor sich als Schutz- und
Trutzmauer aufzubauen, wäre ein unbegreifliches Beginnen.
Diese Gleichgültigkeit hat andernteils ihren Grund in aller¬
dings ganz bedeutenden Schwierigkeiten, die einer Reform des
Unterrichts an den einfachsten Volksschulen entgegentreten; und
daher ist sie verständlich — aber nicht entschuldbar; denn Männer,
denen die Bequemlichkeit das höchste Ziel des Lebens ist, sind Feinde
aller Entwicklung, alles Fortschritts. Auch die einfachste Landschule
braucht kampfesfreudige Naturen, die unerschrocken alle Hindernisse
auf dem beschwerlichen Wege zur Lösung der mit jeder neuen Wahr¬
heit auftretenden Probleme zu nehmen suche::, Naturen, denen,
wie Felicitas Rose in ihrem prächtigen „Heideschulmeister Uwe
Karsten" zitiert, „Ringen und Kämpfen, Entsagen und Dienen
als das einzig Richtige für die besondere Kulturmission des Volks¬
schullehrers" erscheint.
2. Tie Schwierigkeiten einer Reform der zweiklasfigen Landschule.
Der Lehrer der einfachsten Dorfschule hat in der Hauptsache
mit drei bei einer Reform des Unterrichts als Hemmnis wirkenden
Faktoren zu rechnen: Mit einem sprichwörtlich zähen Festhalten
der Landbewohner an allem Traditionellen, einer meist recht ge¬
ringen finanziellen Kraft der Gemeinde und dem leidigen Abtei¬
lungswesen seiner Klassen.
Wenn man erwägt, in wie großem Maße das gute Einver¬
nehmen zwischen Gemeinde und Lehrer zu einer gedeihlichen Ent¬
wickelung des ländlichen Schulwesens beiträgt, leuchtet es ein,
daß strikte Ignoranz des jedem Dorflehrer recht wohl bekannten
bäuerlichen Starrsinns, womit der erste eine Reform des Unterrichts
hemmende Faktor auf bequemem, dabei rechtlich unanfechtbarem
Wege ausgeschaltet werden könnte (denn irgendwelches gewalt-