Full text: Staats- und Volkswirtschaftslehre

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[§20] 
die allgemeine Ausgestaltung des „Hofsystems" des kleineren Besitzers, 
wie es für Westfalen charakteristisch ist, wohl erst den letzten Jahr¬ 
hunderten zugerechnet werden muß; ursprünglich war es nicht den 
Germanen, sondern den Kelten zu eigen, und hat auch in größerem 
Umfange schon in den Alpen und Boralpen, den früher keltischen 
Gebieten seit ältester Zeit bestanden. 
Die zunehmende, nicht mehr genügend Nahrung findende Be¬ 
völkerung, das Nachdrängen anderer Stämme und vielerlei mehr 
führen zu den Wanderungen der germanischen Stämme, von denen 
die umfangreichsten im 4. und 5. Jahrhundert stattfinden und als 
Völkerwanderung bezeichnet werden. Die Ostgermanen waren viel¬ 
fach im Nomadentum verblieben oder zu ihm zurückgekehrt, ihre 
Staatenbilduug (Ost- und Westgoten, Vandalen usw.) blieb ohne 
Bestand. Anders ist cs aber bei den Westgermanen, die wirtschaft¬ 
lich vorwärts schreiten und es zu dauernden Staatsschöpsungen 
bringen: das zeigt in erster Linie das Frankenreich. 
c) Die Fränkische Monarchie. Während noch zur Zeit 
der Wanderungen das Volk zumeist die ausschlaggebende Stellung 
hatte, wird es mit der dauernden Seßhaftigkeit der germanischen 
Stämme anders: Die königliche Gewalt ist ganz wesentlich vermehrt, 
das Volk aus seiner bisherigen Macht zurückgedrängt. Der König 
besitzt jetzt die Gerichtshoheit, seine Befehle verlangen unbedingtes 
Folgeleisten; nur das Gesetzgebungsrecht fehlte ihm, vielmehr bleiben 
die Volksrechte maßgebend (vgl. $ 22 c und § 35 b). Die Volks¬ 
versammlung besteht als entscheidender staatlicher Faktor nicht mehr, 
sondern nur noch als Form der Heeresmusterung. Im einzelnen 
gestaltet sich das Königsrecht, wie es sich im Fränkischen Reiche aus¬ 
bildet, folgendermaßen. Die Königswürde beruht aus der Erblichkeit, 
was allerdiugs die Streitigkeiten um die Thronfolge zwischen den 
Brüdern und Söhnen des Herrschers nicht ausschloß. Das Bann¬ 
recht äußert sich als Verordnungs-, Verwaltungs- und Friedensbann, 
d. h. der König hat die Befugnis, die Ausführung seiner Befehle 
bei Strafe zu erzwingen. Der Friedensbann gewährt Schutz, der 
Verordnungsbann umfaßt den Heeres- und Gerichtsbann. Neben 
den König tritt an Stelle des früher aus Geburt und Ansehen be¬ 
ruhenden Adels der Besitz- und Dienstadel, der die Beamtenstellen 
bekleidet. Sein Recht beruht aus dem Grundbesitz, der die Ansänge 
des Lehnswesens bedeutet ($ 21b). Der Adel übt die Verwaltung 
aus, sei es in den Hofämtern, wo die Fäden der Landesverwaltung 
zusammenlaufen, sei es als Provinzialbeamte, wo im Amte des 
Grasen, der einem mehrere Hundertschaften umfassenden Gau vor¬ 
stand, die Zivil- und Militärgewalt vereinigt war. Auch im Volks¬ 
gericht, dessen Sprengel die Hundertschaft bildete, führt der Graf den 
Vorsitz, während das Königs- oder Hofgericht, das die Tod oder Ächtung 
nach sich ziehenden schweren Fälle beurteilt und als Appellations¬ 
gericht dient, ganz vom König besetzt wird. Die Dienstpflicht erstreckt
	        
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