[§2]
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lichen Strafandrohung oder den gesellschaftlichen Tadel mannigfach
bedingt. Im Pölkerleben entstehen durch Wiederholung zunächst
bestimmte Normen, die als Sitte bezeichnet werden. Sie wird zur
grundlegenden äußeren Lebensordnung der menschlichen Gesellschaft
und umfaßt mehr oder minder alle äußeren Lebensgebiete sowohl
aus kultischem, gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiete wie im
Leben des einzelnen, den eine Reihe herkömmlicher Formen bei Er¬
nährung, Kleidung und Wohnung umgeben. Eine Unterscheidung
zwischen Sitte, Recht und Sittlichkeit (Moral) besteht vorläufig noch
nicht, darum erscheint auch die Sitte vom Standpunkt der heutigen
Ethik aus betrachtet, oft als Unsitte. Von der Sitte hat sich zu¬
nächst das Recht losgelöst (vgl. § 35b), das sie in feste Formen
faßt, und unter dem Schutz des Staates eine Reihe solcher mehr oder
minder äußerlicher, unentbehrlicher erzwingt. Indem so Sitte und
Recht das äußere Leben ordnen und hierfür bestimmte Regeln aus¬
stellen, setzt die Sittlichkeit an Stelle der Tat die Gesinnung. Sie
erstreckt sich auf das ganze Dasein des Menschen, aus sein äußeres
und inneres Leben, sie beherrscht aber nunmehr auch Sitte und Recht.
Als zweites außer der Sittlichkeit unterscheidet die Sprache
den vernunftbegabten Menschen von der Kreatur. Sie stellt das
eigentliche Band der menschlichen Gesellschaft dar und ermöglicht den
Verkehr des einzelnen mit dem Nachbar und der Völker unter
einander. Aber noch ganz anders wuchs der Mensch, als es gelang,
das gesprochene Wort in Schriftzeichen umzusetzen; hierdurch ist erst
so recht eigentlich sein soziales Leben ermöglicht.
8 2. Der gesellschaftliche Zusammenschluß.
a) D i e E n t w i ck l u n g der menschlichen Gesell¬
schaft. Der Mensch als gesellschaftliches Wesen ist daraus an¬
gewiesen, in Gemeinschaft mit andern zu leben. Friedens- und
Kriegs-, Siedelungs- und Wirtschaftsgemeinschaft sind die ersten
Mittel und Zwecke des Zusammenschlusses. Die gesellschaftlichen,
die staatlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen (Insti¬
tutionen), sowie deren Werkzeuge (Organe), wie Sippe, Familie,
Verein, Genossenschaft, Korporation, Gemeinde, Staat sind indes als
das wichtigste Ergebnis des sich aus Sitte, Recht und Moral gründen¬
den Lebens, als seine Kristallisation bezeichnet worden. Neben den
sittlichen haben aber noch zahlreiche natürliche Kräfte mitgewirkt
— und lang ist der Weg von der Horde bis zum Kulturstaat der
Gegenwart.
Als ursprünglichste Gemeinschaft gilt die Horde, die durch
Blutsbande verbunden wohl eine Stärke von 20 bis 100 Köpfen
auswies. Ernährung und Verteidigung, namentlich gegen wilde
Tiere, stehen weit mehr im Vordergrund, als das Geschlechtsleben.
Familienwirtschaft besteht nicht, die Horde ist die Wirtschastsgemein-