Full text: Staats- und Bürgerkunde

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49. Die Parteien des Reichstags. 
Wenn Sie eine Zeitung in die Hand nehmen, um die Ver¬ 
handlungen im Reichstage zu lesen, so erblicken Sie neben den 
Namen der Redner eigenartige Bezeichnungen: konservativ, frei¬ 
konservativ, Zentrum, nationalliberal, freisinnig, sozialdemokratisch. 
Was bedeuten diese Ausdrücke? Sie bezeichnen die Partei, 
der der Redner angehört, der Gruppe von gesinnungsverwandten 
Abgeordneten, die in ihren Zielen über die Entwicklung des Staats¬ 
lebens und über die zur Erreichung derselben anzuwendenden 
Mittel gleich denken. 
Nach der Lage ihrer Sitzplätze vom Präsidentensitz aus be¬ 
zeichnet man sie als die rechte Seite oder die „Rechte", die Mitte 
oder das „Zentrum" und die linke Seite oder die „Linke". 
Zu der Rechten gehören die konservativen: die Deutsch¬ 
konservativen und die Freikonservativen, zur Mitte rechnen wir 
das Zentrum und die Nationalliberalen, zur Linken gehören die 
Freisinnigen und die Sozialdemokraten. 
Die Parteien der Rechten. 
Die konservativen Parteien wollen möglichst alles Bestehende 
erhalten. Sie wollen die für das Reich gewonnene Einheit auf dem 
Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne stärken und 
ausbauen. Innerhalb dieser Einheit soll aber die berechtigte 
Selbständigkeit und Eigenart der einzelnen Staaten, Provinzen 
und Stämme gewahrt werden. In der Entwicklung des Rechts 
und der öffentlichen Einrichtungen fordern sie ein langsames vor¬ 
sichtiges Fortschreiten. Sie sind unbedingte Anhänger der Monarchie 
und einer kräftigen Staatsgewalt. Sie erklären eine wirksame 
Beteiligung des Volks an der Gesetzgebung für unerläßlich. Das 
religiöse Leben des Volkes, die Erhaltung und Wiedererstarkung 
der christlichen und kirchlichen Einrichtungen, vor allem die kon¬ 
fessionelle christliche Volksschule erachten die Konservativen als 
die Grundlage jeder gesunden Entwicklung und als die wichtigste 
Bürgschaft gegen die zunehmende Verwilderung der Massen und 
die Auflösung aller gesellschaftlichen Bande. Sie verwerfen jeden 
Gewissenszwang. Im Wirtschaftsleben wollen sie eine geordnete 
wirtschaftliche Freiheit und verlangen von der Gesetzgebung gleich¬ 
mäßige Berücksichtigung aller Erwerbstätigkeiten — Grundbesitz, 
Industrie und Handwerk. Sie bekämpfen die Bevorzugungen 
des Großkapitals und Abstellung der Schäden, welche die Ver¬ 
einigung so großer Kapitalien mit sich bringt. 
Die Freikonservativen bringen den modernen Bestrebungen 
auf rascheren Fortschritt mehr Sympathie entgegen. Sie vermitteln 
zwischen den Konservativen und den Fortschrittsparteien. Ihr 
Ziel ist die möglichste Verständigung aller Vaterlandsfreunde. 
Sie treten für die Interessen der Regierung mit Nachdruck ein. 
Daneben lassen sie auch dem Streben nach persönlicher Freiheit 
des einzelnen größeren Spielraum. 
Bodesohn, Staats- und Bürgerkunde. 
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