Full text: Staats- und Bürgerkunde

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Das ist aber dem einzelnen unmöglich, es fehlen ihm die Geld¬ 
mittel für den billigen Einkauf, die Maschinenkräfte, die Verkaufs¬ 
stätten. Aber was der einzelne nicht kann, das vermag die Ge¬ 
samtheit. „Viele Wenig machen ein Viel". Zusammenschluß führt 
zur Gemeinsamkeit und zur Ausführung großer Dinge; als der 
Eemeinfamkeitsgedanke noch in unserem Handwerke lebte, da hatte 
es feine grösste Herrlichkeit in den einzelnen Werkstätten. 
Groß ist der materielle Erfolg, den die Genossenschaften gehabt 
haben. Sie haben den Handwerker erzogen zur Kreditfähigkeit 
und Kreditwürdigkeit. Geld bekommt, wer sich ein¬ 
ordnet. So schließen sich an die Kreditvermittelungen zugleich 
die Einkaufsvermittelungen. 
Der Bäcker kauft Mehl und Konditorware, Zucker. Mandeln. 
Rosinen, Vackgerät und Ladeneinrichtung von seiner Zentralstelle, 
der Schuhmacher Leder, Zwecken. Werkzeug. Maschinen, der Bau¬ 
meister bezieht Ziegel. Mauersteine, Kalk. Gerüste von der Berufs¬ 
verwaltung. — Wie kommt es aber, daß nicht mehr Handwerker 
von dieser segensreichen Einrichtung Gebrauch machen? Es hat 
an einem Stande gelernter, geschäftsfähiger Genossenschaftsbeamter 
gefehlt, die mit dem fertigen Schema eines festen Zentralverbandes 
die einzelnen Genossenschaftsstellen einrichteten. Aber es geht auf 
allen Gebieten vorwärts. 
Ebenso groß wie der materielle ist auch der moralische Gewinn. 
Genossenschaftliche Arbeit bringt die Handwerker auch als 
Menschen einander näher. Die Genossenschaft erweckt in ihren 
Mitgliedern erst Verständnis und Gefühl für die Gleichartigkeit 
der Interessen, sie ist eine Erzieherin für ein geordnetes, sittliches 
und wirtschaftliches Leben. Sie sichern dem Handwerker eine ge¬ 
ordnetere Wirtschaftsführung, als er an Barzahlung oder mög¬ 
lichst baldige Begleichung seiner Verpflichtungen gewöhnt wird. 
Er fühlt sich frei und unabhängig; denn er ist nicht mehr gezwun¬ 
gen. den Großhändler zu benutzen, und diese wirtschaftliche Unab¬ 
hängigkeit gibt ihm um so mehr das Gefühl der Sicherheit und 
des Stolzes, als er selbst durch eigene Kraft, wenn auch in Ge¬ 
meinschaft mit seinen Berussgenossen. sich diese Stellung zu er¬ 
ringen vermochte. Der Staat mit seinen Organen fördert diese 
Bewegung, um dem Handwerkerstande die Stellung zu geben, die 
ihm wirtschaftlich und politisch gebührt. 
Ebenso ist es auch in der Landwirtschaft. Auch hier arbeitet 
ein unter staatlichem Schutze und staatlicher Förderung stehendes 
blühendes Genossenschaftswesen, um unser bedrängtes und um seine 
Existenz ringendes Landwirtschaftswesen zu stützen und zu stärken. 
Der Begründer des gewerblichen Genossenschaftswesens ist der 
Rechtsanwalt Schulze, der in seiner Vaterstadt Delitzsch den Grund 
zu dem Genossenschaftswesen legte, durch Einrichtung einer Roh¬ 
stoffgenossenschaft für Schuhmacher und für Tischler im Jahre 1849. 
Die dankbare Vaterstadt hat ihm ein Denkmal gesetzt.
	        
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