Full text: Staats- und Bürgerkunde

IV 
ihnen das volle Verständnis dafür auf, daß die Gegenwart ein 
Produkt der Vergangenheit ist, daß es überall geht durch stampf 
zum Sieg, vom Einfachen zum Zusammengesetzten, vom Guten 
zum Bessern, daß „die gute alte Zeit" doch eine Größe von zweifel¬ 
haftem Werte ist. 
Daher können wir uns in der Bürgerkunde nicht nur auf die 
Erklärung der gesellschaftlichen und staatlichen kreise, ihrer Ver¬ 
fassungen und Einrichtungen beschränken, sondern wir müssen not¬ 
wendig unsere wirtschaftlichen Verhältnisse in den 5lrets der Be¬ 
trachtung ziehen; sie bilden die Probe auf das Exempel unserer 
staatlichen Wirksamkeit. Sie sind die Summe der Arbeit, welche 
Volksfreiheit im Vereine mit der Staatsregierung leisten zur För¬ 
derung unseres Wohlseins, unserer Sicherheit und unserer vater¬ 
ländischen Entwicklung. Nur in dieser Verflechtung können wir 
den innigen Zusammenhang zwischen vorbildlicher und gewissen¬ 
hafter Fürsorge des Fürsten und seiner Regierung und der treuen 
Arbeit des zur Gesetzgebung und Verwaltung mitberufenen Volkes 
zeigen. Je weiter diese Einsicht wächst, desto mehr wird unser Volk 
politisch mündig. Einsicht gebiert Interesse, und Interesse ist 
immer selbsttätig. Es regt zur Arbeit an, und in diesem Falle zur 
Mitarbeit an dem Gedeihen unserer Nation. Der Stimmzettel in 
der Hand jedes Bürgers ist ein Ehrenmal, das aber auch zu treuer, 
ernster Mitarbeit im Sinne unserer Staatsregierung und Staats¬ 
entwicklung verpflichtet. 
In diesem Sinne wird die staatsbürgerliche Erziehung eine Er¬ 
ziehung zur Gesinnung, und zwar zu einer Vaterlands- und königs¬ 
treuen. Liebe zu unserm Fürstenhause in seiner selbstlosen Für¬ 
sorge für des Landes Wohl, Liebe zu unserm Vaterlande, das 
sich in so frischer Entwicklung befindet, wird in die jugendlichen 
Herzen gesenkt, und es muß unser Ziel sein und bleiben, in den 
Herzen der jungen angehenden Bürger ein Verantwortlichkeits¬ 
gefühl und ein Pflichtbewußtsein zu erwecken, das nicht allein in 
guten Tagen treu ist, sondern auch in schweren die Fahne des 
Vaterlandes nicht verläßt. 
Wir werden um so eher auf unsere jungen Leute einwirken 
können, wenn wir ihre persönlichen und beruflichen Verhältnisse 
unter diesem Gesichtswinkel in diesen Kreis unserer Betrachtungen 
hineinziehen, so daß der bisher sogenannte „allgemein berufliche" 
Unterricht im Rahmen der Bürkerkunde seinen Platz findet. 
Denn „das letzte Ziel", um mit Kerschensteiner zu reden, 
„muß die staatsbürgerliche Erziehung sein, die allerdings 
mit und durch die berufliche am besten gefördert werden kann. 
Nur wenn unsere öffentlichen Schul- und Erziehungseinrichtungen 
dieses letzte Ziel unverrückt im Auge behalten und mit allen 
Mitteln zu erreichen streben, wird der moderne Staat die schweren 
Krankheiten überstehen, die, aus seinem eigensten Wesen geboren, 
ihn heute gefährden, wird er in Wahrheit das werden, was er so 
gern sein möchte: ein homogener Kulturstaat."
	        
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