fullscreen: Lesebuch für die Oberklassen der Volksschulen in Elsaß-Lothringen

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15. König Bauer. 
Ein König, der keine Leibeserben hatte, verordnete in seinem 
Testamente, daß derjenige sein Nachfolger sein sollte, welcher nach 
seinem Hinscheiden am ersten zum Stadttore hereinkäme. Der Zufall 
wollte, daß dies ein schlichter Bauersmann war, der seine Einkäufe 
in der Stadt machen wollte. Alsogleich umringte und ergriff ihn das 
Volk und führte ihn im Jubel zum Palaste. Der Mann wußte nicht, 
wie ihm geschah. Er wurde in ein Prunkzimmer geführt, mit kost— 
baren Kleidern angetan, mit einem Schwerte umgürtet und mit 
Zepter und Krone geschmückt. Das war ihm recht. Darauf geleitete 
man ihn unter Trompeten- und Paukenschall in einen reich verzierten, 
großen Saal und setzte ihn auf den Thron; und alle, die ihn um— 
standen, huldigten ihm in Ehrfurcht als ihrem Könige und Herrn. 
Das war ihm noch lieber. Endlich brachte man ihn in den Speise⸗ 
saal, wo die Tafel mit dem Kostbarsten gedeckt war, was man nur 
finden konnte an schmackhaften Speisen und Getränken aller Art. 
Das war ihm am allerliebsten. Und so hielt er denn Hof wie ein 
König, aß und trank wie ein König und schlief zuletzt in einem 
schönen, großen Gemache wie ein König. 
Des andern Tages aber bekam die Sache schon eine andere 
Gestalt; er sollte nun auch amtieren wie ein König. Schon früh— 
morgens, ehe er noch aufgewacht war, standen des Reiches Beamte 
im Vorzimmer und ließen ihm melden: Seine Majestät möge geruhen, 
ihre Vorträge allergnädigst entgegenzunehmen. Da deckte denn der 
eine viele Mängel in der Verwaltung des Staates auf und legte 
weitläufige Pläne zu ihrer Verbesserung vor. Der andere schilderte 
den schlechten Zustand der Finanzen und die Notwendigkeit, die Staats⸗ 
einnahmen zu vermehren, den Untertanen dürften aber keine neue 
Lasten auferlegt werden. Der dritte brachte Beschwerden und Bitten 
und Klagen der Untertanen vor, die sich durch zu schwere Lasten 
bedrückt, in ihren Rechten gekränkt oder in ihrem Fortkommen gehindert 
hielten. So kam einer nach dem andern mit dem und jenem, und 
jeder wollte von dem neuen König Entscheidung und Unterschrift haben. 
König Bauer tat sein möglichstes, wie er denn von gutem Verstande 
und noch besserem Willen war; aber was er da alles hören und 
tun mußte, ward ihm bald zu viel, und er wünschte sich in sein 
enges Stüblein zurück, wo ihm niemand zur Last gefallen war. 
Mittags schmeckte ihm das Essen nicht mehr recht trotz allem 
Gesottenen und Gebratenen, zumal ihm die Unterhaltung mit so vielen
	        
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