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46. Barbara Uttmann.
fertigen Spitzen hinausgeschickt, waren eben, und zwar mit leeren Ranzen
wieder heimgekehrt, aber dafür mit so vollen Taschen, daß man meinte, der
Reichtum müsse bis in alle Ewigkeit währen.
Die Brabanterin konnte diese Freude nicht mehr teilen. Unweit der
5 großen Linde, die noch heute inmitten des Kirchhofes steht, wurde sie wenige
Tage vorher bestattet; der Gram um den Verlust ihres Mannes und all das
Entsetzliche, was über sie hereingebrochen, hatten den Todeskeim in ihr Herz
gesenkt. Und das hatte ruhiger brechen können, denn ihre Kinder lagen ja in
Barbaras Armen. Gepriesen sei diese Frau! Solange die Sonne am Himmel
10 stand, legte sie die Klöppel nicht aus der Hand, und das mußte der beste
Sporn sür alle übrigen sein. Und mit der Freudigkeit und Hoffnung wuchsen
die Spitzenvorräte, obgleich die rüstigsten Männer immer mit der fertigen
Ware wieder von dannen zogen durch ganz Sachsen und Böhmen. Erst der
strenge Winter gebot ihnen Einhalt.
15 Und als dann der Frühling und der Sommer wieder kamen — welch
ein Abstand gegen das vorige Jahr! Kerngesundes Vieh im Stalle und auf
den Wiesen, Segen auf den Feldern, und die Menschen glücklich. Denn eben
war der Herr Studierte, der auf des Bergherrn Bitte aus Kölln an der Spree
zur nochmaligen Untersuchung der Gruben gekommen war, wieder abgereist,
20 nachdem er sich nicht gerade zum allerbesten über die Weisheit seiner Kollegen
in Dresden erklärt hatte. Die Gruben im Schrecken- und Schottenberge
waren nicht ausgebracht; man mußte nur verstehen, sie auf die rechte Weise
zu öffnen. Und da ließ der kluge Mann aus Kölln an der Spree von dem
schwarzen Pulver herbeibringen, von dem die Anuaberger bisher noch keine
25 Ahnung gehabt, und — hei, wie das krachte und platzte, wie da die Wände
barsten und Silber- und Kobaltstufen in unabsehbarer Menge bloßgelegt
wurden!
In diesem Sommer war es auch, daß Barbara eine große Reise nach
Brüssel unternahm. Das wüste Treiben der Spanier in den Niederlanden
30 schreckte sie nicht zurück. Frische Kräfte nach Annaberg zu ziehen, um so
auch die Anfertigung von seidenen Spitzen zu erlernen, dahin ging ihr Plan,
und daß er ihr gelungen ist, das weiß die ganze Welt. Und noch eins brachte
sie aus der Fremde mit: die Bandfabrikation. Spitzen- und Bändermärkte,
Spitzen- und Bänderläden, Spitzen- und Bänderverkäuferinnen — kann man
35 sich davor retten, wenn man heute nach Annaberg kommt?
Ja heute! Da ist Fabrik an Fabrik; da arbeiten überall Maschinen;
da schallte hüben und drüben: „Glückauf! Glückauf!" Und wie würde das
wohl hier aussehen, wenn nicht Christoph und Barbara Uttmann gewesen