124 B. Beschreibende Prosa. IV. Geographische Bilder.
Ägäischen Meeres nicht, der, wenn einmal Verkehr und geistiges Leben
erwacht sind, dieselben ohne Stillstand immer weiter sührt und entwickelt.
ä) Bodenbeschaffenheit.
Was endlich die natürliche Begabung des Bodens betrifft, so bestand
in diesem Punkte eine große Verschiedenheit zwischen der östlichen und
westlichen Hüstle des griechischen Landes.
Die Athener brauchten von den Mündungen der kleinasiatischen
Flüsse nur wenig Stunden aufwärts zu gehen, um sich zu überzeugen,
wie viel reicher dort der Ackerboden lohne, und mit Neid die tiefen
Schichten der fruchtbarsten Erde in A.olis und Jonien zu bewundern.
Der Wuchs der Pflanzen und Tiere war üppiger, der Verkehr in den
breiten Ebenen so ungleich leichter. Sind doch im europäischen Lande
die Ebenen nur wie Furchen und schmale Becken zwischen den Ge¬
birgen eingesenkt oder dem äußeren Rande derselben angeschwemmt; über¬
höhe Joche, die erst für Menschentritte geöffnet und mit unsäglicher
Mühe für Saumtiere und Wagen gebahnt werden mußten, stieg man
von einem Thale zum andern hinüber.
Auch die Gewässer der Ebenen blieben meist den Segen schuldig,
den nran von ihnen erwartete. Am zahlreichsten waren im Sommer
versiegende Flüsse, früh hinsterbende Nereidensöhne, wie die Sage
sie darstellte, oder Geliebte der Seenymphen, deren Liebesbund früh
zerrissen wird, und wenn auch des Landes Trockenheit jetzt eine
ungleich größere ist als im Altertume, so waren doch seit Menschen¬
gedenken des Jlissos wie des Jnachos Wasseradern unter dürrem Kies¬
lager verschwunden. Neben größter Dürre ist dann wieder ein Über¬
maß von Wasser, das hier im Thalbecken, dort zwischen Berg und
Meer stockend die Luft verpestet und jedem Anbaue widerstrebt. Überall
gab es Arbeit und Kamps.
Und dennoch — wie frühe würde die griechische Geschichte zu Ende
gegangen sein, wenn sie nur unter dem Himmel Joniens ihre Stätte
gesunden hätte! Die volle Energie, welcher das Volk fähig war, ist
doch erst im europäischen Hellas zu Tage getreten, auf dem so ungleich
karger begabten Boden; hier ist doch der Leib stärker, der Geist freier
entwickelt worden; hier ist das Land, das er sich durch Entsumpfung
und Eindämmung, durch künstliche Bewässerung und mühsame Wege¬
bahnung unter Not und Arbeit zu eigen gemacht hat, dem Menschen
im volleren Sinne zum Vaterlande geworden als im jenseitigen Lande,
wo er die Gaben Gottes mühelos entgegennahm.
So besteht denn der besondere Vorzug des griechischen Landes in
dem Maße seiner Begabung. Sein Bewohner genießt den vollen Segen
des Südens; ihn erfreut und belebt der Glanz des südlichen Himmels,
die heitere Luft des Tages, die warme, erquickende Nacht. Den nötigen