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VII. Wirtschaftsleben und Finanzen
Die Ablösung der aus Grund und Boden haftenden Dienste geschieht auf An¬
trag der Beteiligten. Die Naturalabgaben und Dienste werden nach ihrem Werte in
eine Geldrente verwandelt und werden entweder sogleich mit dem 18 fachen Betrage
abgelöst oder durch Weiterzahlung jährlicher Geldrenten allinählich getilgt. In letz¬
terem Falle tritt die Vermittlung einer Rentenbank ein. Durch die Gemeiuheits-
teilung wird die gemeinschaftliche Nutzung ländlicher Grundstücke beseitigt. Abfin¬
dungen erfolgen in Land, das als freies Eigentum gegeben wird.
Die neuere Agrargesetzgebung faßt aber neben diesen Befreiungen auch
einige Einschränkungen ins Auge. Sie bezweckt die Erhaltung der Be¬
sitzungen in ihrem Bestände.
Das Höferecht sichert die letztwillige Verfügung zugunsten eines einzelnen Erben.
Die Errichtung von Rentengütern (in Westpreußen und Posen) zielt auf die Begrün¬
dung mittlerer und kleinerer Grundbesitzungen ab. Die Rentenbank streckt das Geld
vor und bezieht dafür vom Käufer eine Rente zur Verzinsung und Tilgung der
Kaufgeldes. Das Anerbeurecht sichert den Übergang dieser Güter auf einen Erben
und ihre ungeschmälerte Erhaltung. Für alle diese Angelegenheiten sind die General¬
kommissionen zuständig. Berufungen und Beschwerden gehen an das Oberlandes-
kulturgericht.
y) Staatliche Förderung der Landwirtschaft.
Der landwirtschaftliche Betrieb wird gefördert durch landwirt¬
schaftliche Kreditanstalten.
Sie geben das Geld zu den nötigen Bodenverbesserungen (für den städtischen
Grundbesitz bestehen private Hypothekenbanken). Die Kreditanstalten, Pfandbriefan¬
stalten genannt, werden in den einzelnen Landesteilen unter Zusammentritt größerer
Besitzer zu „Landschaften" gebildet.
Die Viehzucht wird auf dem Gebiete der Pferdezucht staatlich be¬
trieben, im übrigen nach Möglichkeit gefördert.
Das Tierheilwcsen untersteht einem Landesveterinüramt. Eine Viehseuchenpolizei
wird vom Staate dadurch geübt, daß durch Reichsgesetzgebung die Verletzung erlassener
Absperr- und Aufsichtsmaßregeln mit Strafe bedroht, die Eisenbahn zur Entkeimung
der Beförderungswagen angehalten wird. Ein Viehseuchengesetz ist vom preußischen
Staate vorgesehen.
d) Das Verkehrswesen.
a) Behörden.
Dem Verkehr dienen Eisenbahn, Post und Telegraphie. Das Post-
und Telegraphenwesen unterliegt der Zuständigkeit des Reiches. Die Ver¬
waltung gehört dem Reichspostamt unter einem Staatssekretär. Von
ihm sind die Oberpostdirektionen abhängig. Eine besondere Reichsbehörde
zur Wahrnehmung der Eisenbahninteressen des Reiches ist das Reichs¬
eisenbahnamt. Im übrigen hat die Verwaltung der preußischen
Eisenbahnen der Minister der öffentlichen Arbeiten, dem auch
das Bauwesen zugewiesen ist. Ihm unterstehen die Eisenbahndirektionen.
ß) Die Reichspost.
Der Post zwang besteht in dem Verbot, verschlossene Briefe und Zei¬
tungen gegen Bezahlung zwischen verschiedenen Orten oder auch innerhalb
dieser Orte anders als durch die Post zu versenden.