45 Prosa. — Belehrende Briefe.
St. Georg verstand die Kunsl nicht, plapperte die Sache aus und störte das
Gute. Und ist das so elwas Großes und des Geschreies werth?
Der Herr Vetter mag nun sagen, wer Recht hat: der, der sich klug dünkt;
oder der, der sich dumm stellt? Und ob alte Leute nicht Kinder— und Kälber
maß wissen müssen u. s. w. Und so viel von dem ersten Punkt, oder von Auf—
klärung und Aberglauben.
Der zweite Punkt betrifft Glauben und den allgemeinen Sturm, den die
Vernunft jetziger Zeit auf geoffenbarte Religion läuft. Und da habe ich mich
bei Ew. Hochedelgeboren gehorsamst erkundigen wollen, ob es damit auch wohl
Noth haben sollte.
Ich zwax kann es mir kaum einbilden. Denn sieht der Herr Vetter, ich
habe, sans comparaison, nur ein Geheimnis, Tinte zu machen; und das ist ja
nur ein kleines und schlechtes Geheimnis; alle Welt macht Tinte. Aber laß die
Vernunft mir doch einmal a priori mein Recept rathen. Und was einer nicht
rathen kann und nicht weiß, darüber kann er, dünkt mich, doch eigentlich nicht
urtheilen und richten.
Doch die Vernunft soll so übexaus lunstreich sein, daß sie das kann. Nun
so mag sie denn beweisen und bewiesen haben, so biel fle will, daß meine Kunst,
Tinte zu machen, nicht tauge, und daß es gar solch eine Kunst nicht gebe. Aber
was geht das mein Recept an? Hab' ich's darum weniger? Und wird es darum
leine gute Tinte machen?
Und doch will die Vernunft über das Geheimnis der Religion rich—
teln! · ——
Und wenn der Schäker noch was Besseres an ihrer Stelle zu geben hätte.
Aber das fehlt viel.
Was sie „natürliche Religion“ nennen, ist wohl eine feine äußerliche
Zucht, aber es ist nicht würdig und wohl geschickt.
Dem Menschen muß etwas wahr und heilig sein! Und das muß nicht in
seinen Händen und in seiner Gewalt sein, sonst ist auf ihn kein Verlaß, weder
für andre, noch für ihn selbst. Was soll doch einer für Furcht vor Göttern
haben, die er selbst inventiert und gemacht hat! Und was kann er von ihnen
für Trost erwarten? — Auch ist das scharfsinnigste Gemächt der Selbstgötter
eigentlich nur zum Staat und für die guten Tage, und ich hab's mehrmal ge—
sehen, Vetter! wenn's was gilt, so lassen sie die Ohren hangen.
Und nun zum Beschluß noch eine Frage: Soll ich meine Kinder die „kritische
Philosophie“ studieren lassen oder nicht stüdieren lassen? Die Meinungen über
diese Philosophie sind so verschieden. Einige sagen, daß sie von nichts zu etwas,
und andre wieder, daß sie von etwas zu nichts führe. Nun ist mir das Nichts
von jeher in der Seele zuwider gewesen, und ich habe nie können recht dahinter
kommen, was es eigentlich für ein Ding ist. Ich mag es sonst wohl, daß ineine
Kinder von allem mitsprechen können. Nur muß es sie nicht verderben. Ver—
dorben will ich sie nicht haben, für keinen Preis.
Ich wollte sie so gerne gut haben, lieber Vetter! Gieb mir Rath dazu,
und ich lasse mir einen Finger für dich abhacken.
Der ich die Ehre habe, mit besonderer Hochachtung zu sein,
Hochedelgeborner,
GHvochzuehrender Herr Vetter!
Ew. Hochedelgeboren
ganz ergebenster Diener ꝛc.