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Da kam einmal ein armer Pilger in das Schloß und bat um eine
Nachtherberge. Der Ritter wies ihn trotzig ab und sprach: „Dieses
Schloß ist kein Gasthaus.“ Der Pilger sagte: „Erlaubt mir nur drei
Fragen, so will ich weitker gehen.“ Der Ritter sprach: „Auf diese Be⸗
dingung hin mögt Ihr immer fragen, ich will Euch gern antworten.“
Der Pilger fragte ihn nun: „Wer wohnte doch wohl vor Euch in
diesem Schlosse?“ „Mein Vater!“ sprach der Ritter. Der Pilger fragte
weiter: „Wer wohnte vor Eurem Vater da?“ „Mein Großvater!“ ant—
wortete der Ritter. „Und wer wird wohl nach Euch darin wohnen?“
fragte der Pilger weiter. Der Ritter sagte: „So Gott will, mein Sohn!“
„Nun“, sprach der Pilger, „wenn jeder nur eine Zeit in diesem
Schlosse wohnt, und immer einer dem andern Platz macht — was seid
Ihr denn anders hier als Gäste? Dieses Schloß ist also wirklich ein
Gasthaus. Verwendet daher nicht so viel, dieses Haus so prächtig aus—
zuschmücken, das Euch nur kurze Zeit beherbergt. Tut lieber den Armen
Gutes, so bauet Ihr Euch eine bleibende Wohnung im Himmel.“
Der Ritter nahm diese Worte zu Herzen, behielt den Pilger über Nacht
und wurde von dieser Zeit an wohltätiger gegen die Arinen. Ch.v. Schmid.
185. Der höfliche Knabe.
In einem Dorfe bei der Stadt Ankona in Italien lebten ein Paar
arme Bauersleute, welche einen Sohn namens Felix hatten. Dieser
Knabe hatte zwar guten Verstand, weil er aber sehr arm war, mußte
er die Schweine hüten.
Felix wurde von seinen Eltern immer angehalten, gegen jedermann
zuvorkommend, gefällig und freundlich zu sein. Die andern Knaben im
Dorfe verachteten aber den Schweinehirten und waren grob.
Als Felix eines Tages seine Herde hütete, kam des Weges ein Bar—
füßermönch, der durch den Wald einen Führer begehrte. Weil aber
schlechtes Wetter war, so sagten die anderen Knaben in ihrer gewöhnlichen
Grobheit: „Nein, ich gehe nicht mit!“ Da sprang Felix herbei, grüßte
freundlich und bot sich zum Wegweiser an. Da der Mönch unterwegs
aus den klugen Antworten des Knaben seinen guten Verstand erkannte,
nahm er ihn mit Bewilligung der Eltern mit in sein Kloster und ließ
ihn späker in seinen Orden eintreten.
Felix studierte jetzt fleißig, und ungeachtet er bald einer der Gelehr—
testen unter den Mönchen wurde, erhob er sich doch nicht über sie, sondern