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höhnend zu und sielen über ihn her und zerzausten ihm Haar 
und Mütze. Endlich liessen sie ihn seine Beichte sprechen, dann 
hingen sie ihn an einen Baum. So ging des Vaters Traum in 
Erfüllung, zur Warnung allen Kindern, die Vater und Matter 
nicht achten wollen. Albert Siebter. 
6. Nm Ausgange des Mittelalters. 
54. Rudolf von Habsbnrg als Richter. 
Von der ungemeinen Geistesgegenwart und Klugheit, mit welcher 
König Rudolf das Recht handhabte, gibt folgendeGeschichte einenBeweis. 
Als er einst nach Nürnberg kam, um dort einen Reichstag zu halten, 
baten ihn viele Bürger, ihnen Recht zu sprechen. Unter diesen war 
auch ein Kaufmann, der einem vornehmen Gastwirte zu Nürnberg, bei 
welchem er eingekehrt war, 200 Mark Silber in einem ledernen 
Beutel aufzuheben gegeben hatte. Als der Kaufmann bei seiner Ab¬ 
reise das Geld zurückverlangte, leugnete der betrügerische Wirt, welcher 
keinen Empfangsschein ausgestellt hatte, die ganze Sache. Nachdem 
der Kaiser sich nach allen Umständen genau erkundigt und vom 
Kaufmanne gehört hatte, daß der Wirt mit unter den Abgeordneten 
der Stadt sein werde, welche an diesem Tage dem Kaiser ihre Auf¬ 
wartung machen würden, so befahl er dem Kaufmanne, abzutreten 
und sich verborgen zu halten. Jetzt kamen die Abgeordneten. Rudolf 
unterredete sich mit ihnen, fragte sie nach ihren Namen und Ge¬ 
werben und sagte dann im Verlaufe des Gespräches zu dem Wirte: 
„Höre, du hast einen hübschen Hut, ich gebe dir meinen dafür." 
Der Wirt machte sich eine Ehre daraus, mit dem Kaiser zu tauschen, 
und Rudolf setzte den neuen Hut recht wohlgefällig auf. Später 
ging der Kaiser aus dem Zimmer heraus, rief einen Bürger herbei 
und sagte ihm: „Lauf eilig zu des Gastwirts Frau und sage ihr, 
ihr Mann verlange unverzüglich den ledernen Beutel mit dem Gelde 
des Kaufmannes; zum Wahrzeichen schicke er hiermit seinen Hut!" 
Die Frau gab das Geld willig her, der Bürger brachte es dem 
Kaiser, dieser steckte es zu sich und trat mit dem Hute wieder in 
den Saal. Als er nun die Abgeordneten entließ, befahl er dem 
Gastwirte dazubleiben und rief nun auch den Kaufmann herbei. 
Dieser erzählte seine Klage; der Wirt leugnete jedoch nach wie vor, 
das Geld empfangen zu haben. Aber auf einmal zog der Kaiser 
den Beutel hervor, überführte den betrügerischen Wirt und verurteilte 
ihn zu einer bedeutenden Geldstrafe. Hauff.
	        
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