Dritter Abschnitt. 
Kitiler zur Kekebung des Jioulimtcrncfits. 
A. Ans der Geschichte und der Volkswirtschaftslehre. 
120. Die Hgyptier, das älteste Kulturvolk. 
W. Pütz nach I. Bunsen und M. Nhlemann. ö 
Merkwürdigerweise sind im Altertum die mächtigen, über einen großen Länder¬ 
raum ausgedehnten Völker und diejenigen, welche zu einer vorübergehenden Welt¬ 
herrschaft gelangten, wie die Assyrier, Babylonier, Perser, Macedonier, ungleich weniger 
bedeutend für die Bildung und Gesittung, als einzelne kleinere, auf ein enges Gebiet 
beschränkte Völker, und es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß jedes dieser kleineren io 
Völker eine andere weltgeschichtliche Bedeutung von der Vorsehung zugeteilt erhalten 
und dieselbe mit glücklichem Erfolge gelöst hat. So erhielt das israelitische Volk 
die erhabene Sendung, den Monotheismus, die Verehrung eines einzigen höchsten 
Wesens, in ihrer Reinheit zu erhalten und fortzupflanzen; seine Heimat das kleine 
Palästina, ward später die Wiege des Christentums und als solche im Mittelalter das 15 
Ziel der Kreuzzüge. Eine andere Aufgabe übernahmen die Bewohner des noch 
kleineren Phöniziens. Sie waren in den frühesten Zeiten das eigentliche Volk des 
Mittelmeeres, dessen verbindende Kraft für die drei Erdteile der alten Welt sie zuerst 
erkannten und benutzten; sie vermittelten zuerst und lange allein einen Austausch der 
Erzeugnisse des Morgen- und Abendlandes, den Verkehr zwischen Indien und Europa. 20 
Ihre Thätigkeit zur See war erst die Vorläuferin, später die Nebenbuhlerin der 
griechischen. Die Griechen, wiewohl ihr europäisches Mutterland nur etwa tausend 
gevierte Meilen umfaßte, haben sich ein doppeltes Verdienst um die europäische Mensch¬ 
heit erworben, einmal indem sie die von dem gegenüberliegenden Asien empfangenen 
Keime geistiger Bildung aufgenommen und auf ihrem eigenen Boden zur höchsten Blüte 25 
entfaltet haben, dann aber durch die allgemeine Verbreitung ihrer Bildung mittelst 
zahlreicher Kolonieen an den Küsten des mittelländischen und schwarzen Meeres, wo¬ 
durch sie zu einer geistigen Weltherrschaft gelangten. 
Doch unter allen bekannten Völkern der Erde sind die Ägyptier bei weitem das 
erste gewesen in der Schöpfung und Entwickelung einer eben so mannigfaltigen als 30 
eigentümlichen Bildung, einer Bildung, deren Blütezeit mindestens tausend Jahre, ja 
in Mittelägypten sogar über zweitausend Jahre vor den Höhepunkt der griechischen 
Bildung fällt, und die daher eben so ehrwürdig durch ihr Alter, als bedeutungsvoll 
durch ihre aus diesem hohen Alter folgende Selbständigkeit ist. Ja, Ägypten hat schon 
im Altertum nicht einmal, sondern zu drei verschiedenen Zeiten durch seine Bildung 35 
eine weltgeschichtliche Bedeutung erlangt: das erstemal im dritten Jahrtausend v. Chr., 
zur Zeit des sog. alten Reiches, dessen Mittelpunkt Memphis war, und dessen 
Könige die Pyramiden errichteten; das zweitemal um die Mitte des zweiten Jahr¬ 
tausends v. Chr., nachdem es mehrere hundert Jahre unter der Fremdherrschaft jener 
Hirtenkönige (der Hyksos) gestanden hatte, welche die Bildung Ägyptens, wenn nicht 40 
vernichtet, so doch zurückgedrängt hatten. Nach deren Vertreibung erhob sich Ägypten
	        
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