Full text: Erzählungen aus der Griechischen Geschichte in biographischer Form (Theil 1)

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Gerechtigkeitsliebe, die er sogar an seinen Feinden bewies, 
daß ihn seine Mitbürger vorzugsweise mit dem Beinamen des 
Gerechten ehrten. Einst war er genöthigt, einen Athener vor 
Gericht zu verklagen, und als er seine Anklagerede beendigt 
hatte, waren die Richter so sehr von der Gerechtigkeit seiner 
Sache überzeugt, daß sie sofort, ohne den Angeklagten hören 
zu wollen, zur Verurteilung desselben schritten. Da stellte 
sich Aristides auf die Seite des Angeklagten und unterstützte 
dessen Bitten, damit auch diesem sein Recht, sich gegen die 
Anklage zu vertheidigen, zu Theil würde. 
Leider bestand zwischen Aristides und Themistokles keine 
Freundschaft. Der ruhmsüchtige Themistokles sah mit nei¬ 
dischem Blick auf das Ansehen, das Aristides beim Volke 
genoß; auch mußten beide Männer öfters in feindselige Be¬ 
rührung kommen, da Themistokles zur Erreichung seiner 
Zwecke nicht immer die edelsten Mittel wählte und deshalb 
von Aristides manchen Tadel und Widerspruch erfuhr. So 
kam einst Themistokles in die Volksversammlung und sagte, 
er habe einen Plan, der für die Athener sehr heilsam sei, er 
könne ihn aber nicht öffentlich bekannt machen. Man möge 
ihm einen wackern Bürger geben, dem er seinen Plan mit¬ 
theilen wollte. Dazu wählte das Volk den Aristides. The¬ 
mistokles eröffnete ihm nun, man könne die Flotte der Lace- 
dämonier auf heimliche Weise in Brand stecken, um die See¬ 
macht der Spartaner zu vernichten. Darauf sagte Aristides 
in der Versammlung des Volkes, die Ausführung des gehei¬ 
men Planes sei zwar für Athen von großem Nutzen, aber 
höchst ungerecht. Im Vertrauen auf die Gerechtigkeitsliebe 
des Aristides fragten die Athener nicht einmal danach, und 
die Ausführung des Planes unterblieb. 
Da es aber dem Aristides nicht an Feinden fehlte, so 
brachte es endlich Themistokles dahin, daß er durch den Ostra- 
cismos (Scherbengericht) auf zehn Jahr aus Athen verbannt 
wurde. Aristides war selbst in der Volksversammlung, in der 
seine Verbannung beschlossen ward. Hier nahete sich ihm ein 
Landmann und bat ihn, weil er selbst nicht schreiben konnte, 
den Namen Aristides auf die Scherbe zu schreiben, auf welcher 
die Athener ihre Stimme abgaben. Aristides fragte ihn: 
„Was hat dir denn Aristides zu Leide gethan?" Der Land-
	        
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