Full text: Erzählungen aus der Griechischen Geschichte in biographischer Form (Theil 1)

194 
XXV. 
Alcibiades. 
Alcibiades, der Sohn des Klinias, stammte aus 
einem reichen und edlen Geschlechte, das bis auf den Tela- 
monier Ajax hinaufreichte, und war verwandt mit Perikles, 
der nach dem Tode feines Vaters die Vormundschaft über 
ihn führte. Die Natur hatte den Alcibiades mit den glän¬ 
zendsten Gaben des Körpers und der Seele ausgestattet, er 
besaß eine sehr schöne Gestalt, einen lebhaften, durchdringenden 
Geist, eine einschmeichelnde Stimme, die durch ein leichtes 
Anstoßen mit der Zunge — er konnte den Buchstaben R 
nicht aussprechen, — nur um so lieblicher ward. Dagegen 
fehlte ihm aber auch nicht jener Leichtsinn und ausgelassene 
Muthwille, der überhaupt ein Zug des Athenischen Volkes 
war. Bei solchen Gaben war es kein Wunder, daß er schon 
als Knabe die Aufmerksamkeit der Athener auf sich zog, und 
manche witzige Aeußerung, mancher lose Streich wird uns 
von ihm erzählt. 
Einst übte er sich mit einem stärkeren Knaben im Rin¬ 
gen, und um nicht zu unterliegen, biß er ihn in den Arm. 
Als sein Gegner ihn mit den Worten schalt: ,,Du beißest ja, 
Alcibiades, wie die Weiber!" antwortete dieser: „Nein, wie 
die Löwen!" — Ein andermal spielte er mit mehreren an¬ 
dern Knaben auf der Straße Würfel und er war gerade 
am Wurf, als ein Wagen gefahren kam. Alcibiades bat den 
Fuhrmann zu warten, da dieser aber nicht auf ihn hörte, 
legte er sich quer vor die Pferde auf die Straße und sagte: 
„Nun fahre zu, wenn du willst!" Der Fuhrmann mußte 
umwenden. — Alcibiades war lernbegierig und seinen Lehrern 
folgsam, nur gegen die Flöte zeigte er einen unbesiegbaren 
Widerwillen, weil sie den Mund und das Gesicht entstelle 
und nicht gestalte, daß der Spielende dazu singe. „Die 
Kinder der Thebaner," sagte er, „mögen die Flöte blasen, 
denn sie verstehen nicht zu reden." Er theilte seine Abneigung 
gegen dieses Instrument seinen Gespielen mit und brachte es 
förmlich in Verruf. Einst wollte er seinen Vormund Perikles 
besuchen, erfuhr aber vor der Thür, daß dieser beschäftigt sei 
und gerade dariiber nachdenke, wie er den Athenern Rechen-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.