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In Korinth lernte Alexander auch den weisen Diogenes
kennen, der den Grundsatz des Sokrates, so wenig als mög¬
lich zu bedürfen, so weit ausdehnte, daß er sich bei den Griechen
lächerlich machte. Er ging mit ungeschorenem Barte, mit
einem schmutzigen und zerrissenen Mantel, ohne Sohlen, einen
Bettelsack auf dem Rücken und wohnte damals in einer
großen Tonne. Alexander, der von ihm gehört hatte, ging
zu ihm. Diogenes lag eben vor seiner Tonne und sonnte
sich. Als er eine Menge Menschen auf sich zukommen sah,
richtete er sich ein wenig auf. Alexander redete lange mit
ihm und fand seine Antworten so treffend und geistreich, daß
er freundlich zu ihm sagte: ,,Kann ich dir eine Gunst er¬
weisen?" ,,Ja," antwortete Diogenes, „tritt mir ein wenig
aus der Sonne." — Der König wandte sich um und sagte
zu den Umstehenden: „Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte
ich wohl Diogenes sein!"
Auch die Künstler besuchte Alexander fleißig, da er hoffte,
durch sie verewigt zu werden, und zeigte sich in seinen Ur¬
theilen, über Dinge, die er nicht verstand, oft ein wenig vor¬
laut. Einst tadelte er an einem Gemälde die unrichtige
Zeichnung des Pferdes und befahl, sein Pferd selbst zur
Vergleichung herbeizuführen. Es kam und wieherte sogleich
dem gemalten entgegen. „Sieh da!" sagte der Maler,
„dein Pferd versteht sich besser auf die Kunst als du." —
Als der junge König ein andermal mit vieler Anmaßung
und weniger Kenntniß über Gemälde sprach, stieß ihn der
Maler A pell es lei)e an und sagte : „Höre doch auf, Alexan¬
der! sieh nur, wie die Jungen dort lachen, die mir die Far¬
ben reiben."
Während Alexander damit beschäftigt war, die nördlichen
Völkerschaften wieder zum Gehorsam zu bringen, verbreitete
sich in Griechenland das Gerücht von seinem Tode. Sogleich
erhoben sich die Griechen, ihre Freiheit wieder zu erringen,
und Theben griff die Macedonische Besatzung an. Bald
aber nahete Alexander und stand vor Theben, ehe diese Stadt
hinlängliche Truppen hatte an sich ziehen können. Nach
einem verzweifelten Kampfe unterlag sie der Macedonischen
Tapferkeit und Uebermacht. Die Stadt ward darauf gänzlich
zerstört bis auf die Tempel und das Haus des Pindaros,