Full text: Dichtung der Neuzeit (Teil 2, [Schülerbd.])

§ 39. Goethes dramatische Werke. 
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Bezüge zu Goethes Person und Stellung zu finden, als in „Tasso". 
Hatte doch auch Goethe in Weimar das Mißverhältnis zwischen Talent 
und Leben, den innern Zwiespalt des Dichters und des Welt- und Hof¬ 
mannes hinreichend an sich selbst in Erfahrung gebracht. Daher liegt der 
Angelpunkt des Stückes in dem Verhältnis Tassos zu Antonio, des 
Dichters zum Staatsmann, des Mannes der Phantasie, der Illusion, des 
Idealismus zu dem Vertreter der Nüchternheit, der Wirklichkeit, des Rea¬ 
lismus; denn in diese beiden Personen hat Goethe seine Person zerteilt, 
damit so zwei Männer entständen, „die darum Feinde sind, weil die Natur 
nicht einen Mann aus ihnen formte". Auch die Zeichnung des Hofes 
zu Ferrara bietet eine offenbare Parallele zu dem von Weimar, und läßt 
sich unschwer in dem Herzog Alfons von Ferrara der Herzog Karl 
August von Weimar erkennen, sowie man auch in der Prinzessin Leonore 
die Herzogin Luise und in der Gräfin Leonore die Frau v. Stein hat 
finden wollen. 
Inhaltlich ist das Stück die dramatische Gestaltung einer Haupt¬ 
epoche aus dem Leben des unglücklichen Dichters Tasso (geboren zu Sor¬ 
rent 1544, gestorben und begraben im Kloster San Onofrio 1595), des 
Verfassers des berühmten Epos „La Gerusalemme liberata“ (Das be¬ 
freite Jerusalem). 
Tasso, ein Schützling des Herzogs Alfons von Ferrara, empfängt bei der 
Übergabe seines lang bearbeiteten Werkes aus Geheiß des Herzogs von der Prinzessin, 
der er sich in schwärmerischer Liebe zugeneigt fühlt, einen Lorbeerkranz, welcher ihn, 
der „den bunten Schwarm der Menschen flieht und lieber frei im stillen mit seinem 
Geist sich unterhalten mag", in die höchste Entzückung versetzt. Da tritt Antonio 
ein, der Staatssekretär des Herzogs, der soeben nach Überwindung vieler Schwierig¬ 
keiten in Rom mit dem Papste einen Streit über eine Gebietsangelegenheit glücklich 
zu Ende geführt hat. Nicht ohne Eifersucht sieht er den Kranz auf dem Haupte des 
noch jugendlichen Tasso und preist ihm gegenüber in Begeisterung die Verdienste 
Ariostos (Dichters des romantischen Epos Orlanäo turioso, geboren zu Reggio 1474, 
gestorben 1533), dessen Büste die Gräfin Leonore bekränzt hatte. Hieraus entwickelt 
sich ein scharfer Gegensatz zwischen dem überschwenglichen Dichter und dem kalt über¬ 
legenden Staatsmann, ein Gegensatz, der schließlich im Palaste des Fürsten den 
Dichter gegen Antonio den Degen ziehen läßt. Hierfür vom Herzog mit Zimmerhaft 
bestraft, wird Tasso auf das bitterste verstimmt, wähnt sich von allen verlassen und 
hält gar die Gräfin Leonore, die als Freundin ihn zu sich nach Florenz ladet, für 
eine Schlange, die nur als Werkzeug Antonios komme. Als Antonio im Auftrage 
des Fürsten ihm die Freiheit zurückgiebt, bittet er um Urlaub nach Rom, da ihm 
„die Sohlen auf diesem Marmorboden brennen". Der Fürst bewilligt, wenn auch 
nur ungern, den Urlaub und giebt dem scheidenden Dichter die Mahnung auf den 
Weg, daß er „sich sich selbst entreißen möge"; „der Mensch gewinnt, was der Poet 
verliert". Dieser Mahnung ungeachtet vergißt Tasso beim Abschiede von der Prin¬ 
zessin sich so weit, daß er, überwältigt von seiner Liebe, die Fürstin stürmisch in seine 
Arme schließt. Wegen dieser vermessenen That von dem Hofe verwiesen, erfährt der 
Dichter in schmerzlicher Resignation seine Seelenheilung und findet in dem verkannten
	        
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