Full text: Schleswig-holsteinischer Kinderfreund

Erzählungen und Gedichte. 
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22. (133.) Die Bärenhaut. 
Zwei Jägerburschen hörten von einem großen, starken Bären, der sich 
im nahen Walde aufhalten sollte, und freuten sich schon im voraus auf 
den schönen Pelz, den sie ihm abziehen wollten. „Wenn ich ihn schieße," 
sagte der eine, „so lasse ich mir aus dem Pelz einen Mantel machen; der 
soll mich im Winter hübsch wärmen." — „Nein!" sagte der andere, „schieße 
ich ihn, so verkaufe ich den Pelz. Der Kürschner bezahlt mir zehn Thaler 
dafür; die sollen mir schön in dem Beutel klingen." 
Unterdessen war es Zeit geworden, in den Wald zu gehen. Als sie 
aber dort so allein waren und von ferne das Brummen des Bären hörten, 
da wurde es ihnen doch ein wenig bange. Als der Bär nun gar näher 
kam, da warf der, welcher den Pelz verkaufen wollte, seine Flinte weg und 
kletterte so schnell als möglich auf einen Baum. Der andere aber, der sich 
auch nicht zu bleiben getraute, konnte nicht mehr flüchten. Zum Glück fiel 
ihm ein, daß Bären keinen toten Menschen anrühren. Er warf sich also 
auf den Boden, hielt den Atem an und streckte sich hin, als wenn er tot 
wäre. Der Bär kam grimmig auf ihn zu; als er aber sah, daß der Bursche 
kein Glied rührte, beroch er ihn ein wenig und lief dann weiter, ohne ihm 
ein Leid zu thun. Wie nun der Bär weit genug fort war, erholten sich 
die beiden von ihrem Schrecken; der eine stieg von dem Baume herunter, 
und der andere stand vom Boden auf. 
Da fragte der, welcher von oben zugesehen hatte, den andern spöttisch: 
„Hör' einmal, was hat dir denn der Bür ins Ohr gesagt?" — „Ja," er¬ 
widerte der andere, „alles habe ich nicht genau verstanden; aber eins hat 
er mir deutlich ins rechte Ohr gesagt, nämlich: Man soll die Haut des 
Bären nicht verkaufen, bevor man den Bären hat. Und in das linke Ohr 
hat er mir gesagt: Wer seinen Freund in der Not im Stiche läßt, ist ein 
schlechter Kerl." Curtmann. 
23. (32.) Blau Veilchen. 
1. Ein kleines Blauveilchen 
stand eben erst ein Weilchen 
unten im Thal am Bach; 
da dacht' es einmal nach 
und sprach: 
„Daß ich hier unten blüh', 
lohnt sich kaum der Müh'; 
muß mich überall bücken 
und drücken; 
bin so ins^Niedre gestellt, 
sehe gar nichts von der Welt.
	        
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