Full text: [Obere Lehrstufe] (Obere Lehrstufe)

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XI. Didaktisches. 
3ch Beginne mit einem Briefe Basilius des Großen, für den ich lange schon eine be¬ 
sondere Vorliebe hege. Aus Cäsarea in Kappadoeien gebürtig, hatte Basilius, nicht 
viel über dreißig Jahre alt, dem heiteren Leben zu Athen entsagt, auch schon die christ¬ 
lichen Einsiedeleien in Cöleshrien und Oberägypten besucht, als er sieh nach Art der 
vorchristlichen Essenerr) und Therapeuten in eine Wildniß am armenischen Flusse Iris 2) 
zurückzog. Dort war sein zweiter Bruder, Naukratius, nach fünfjährigem strengem 
Anachoretenleben beim Fischen ertrunken. „Ich glaube endlich," schreibt er an Gre- 
gorius von Nazianz, „das Ende meiner Wanderungen zu finden. Die Hoffnung, 
mich mit dir zu vereinigen, ich sollte sagen meine süßen Träume (denn mit Recht hat 
man Hoffnungen Träume des wachenden Menschen genannt) sind unerfüllt geblieben. 
Gott hat mich einen Ort finden lassen, wie er uns beiden oft in der Einbildungskraft 
vorgeschwebt. Was diese uns in weiter Ferne gezeigt, sehe ich jetzt vor mir. Ein hoher 
Berg, mit dichter Waldung bedeckt, ist gegen Norden von frischen, immerfließenden 
Wassern befeuchtet. Am Fuße des Berges dehnt sich eine weite Ebene hin, fruchtbar 
durch die Dämpfe, die sie benetzen. Der umgebende Wald, in welchem sich vielartige 
Bäume zusammendrängen, schließt mich ab wie in eine feste Burg. Die Einöde ist von 
zwei tiefen Thalschluchten begränzt. Auf der einen Seite bildet der Fluß, wo er vom 
Berge schäumend herabstürzt, ein schwer zu überschreitendes Hinderniß, auf der andern 
verschließt ein breiter Bergrücken den Eingang. Meine Hütte ist aus dem Gipfel so 
gelegen, daß ich die weite Ebene überschaue, wie den ganzen Lauf des Iris, welcher 
schöner und wasserreicher ist als der Strymon bei Amphlpölis 3). Der Fluß meiner 
Einöde, reißender als irgend einer, den ich kenne, bricht sich an der vorspringenden 
Felswand und wälzt sich schäumend in den Abgrund: dem Bergwanderer ein an- 
muthiger, wundervoller Anblick, den Eingeborenen nutzbar zu reichlichem Fischfang. 
Soll ich dir beschreiben die befruchtenden Dämpfe, welche aus der (feuchten) Erde, die 
kühlen Lüfte, welche aus dem (bewegten) Wasserspiegel aufsteigen? Soll ick reden von 
dem lieblichen Gesang der Vögel und der Fülle blühender Kräuter? Was mich vor 
allem reizt, ist die stille Ruhe der Gegend. Sie wird bisweilen nur von Jägern besucht; 
denn meine Wildniß nährt Hirsche und Herden wilder Ziegen, nicht eure Bären und 
eure Wölfe. Wie möchte ick einen anderen Ort mit diesem vertauschen! A l k m ä o n 4), 
nachdem er die Echinaden gefunden, wollte nicht weiter umherirren." Es sprechen sich in 
dieser einfachen Schilderung der Landschaft und des Waldlebens Gefühle aus, welche 
sich mit denen der modernen Zeit inniger verschmelzen als alles, was uns aus dem 
griechischen und römischen Alterthume überkommen ist. Von der einsamen Berghütte, 
in die Basilius sich zurückgezogen, senkt sich der Blick auf das feuchte Laubdach des tief 
liegenden Waldes. Der Ruhesitz, nach welchem er und sein Freund Gregorius von 
Nazianz so lange sich gesehnt, ist endlich gefunden. Die dichterisch mythische Anspielung 
am Ende des Briefes erklingt wie eine Stimme, die aus einer anderen, früheren Welt 
in die christliche herüberschallt. 
Auch des Basilius Homilien über das Hepaemeron3) zeugen von seinem 
Naturgefühl. Er beschreibt die Milde der ewig heiteren Nächte in Kleinasien, wo, wie 
er sich ausdrückt, die Sterne, „die ewigen Blüten des Himmels," den Geist des Men¬ 
schen vom Sichtbaren zum Unsichtbaren erheben. Wenn er in der Sage von der Welt¬ 
schöpfung 6) „die Schönheit des Meeres" preisen will, so beschreibt er den Anblick der 
1) Auch Essäer genannt, eine berühmte jüdische Sekte vor und zu der Zeit Christi, hatten in 
ihrer Lebensweise große Ähnlichkeit mit derjenigen der pythagoräischen Philosophen. Sie theilten sich 
in zwei Klassen: practici, Handwerker, die gemeinschaftlich lebten, und lbsoretici (auch Therapeu¬ 
ten), Betrachtende, die in der Einsamkeit lebten. — 2) Der Iris entspringt in Armenien, durch¬ 
strömt die pontinischen Landschaften und fließt, mit den Wassern des Lykus gemischt, in das schwarze 
Meer. — 3) Stadt in Maeedonien. — 4) Sohn des Amphiaros und der Eriphyle, machte den Zug 
der sieben gegen Theben mit, tödtete seine Mutter, ward dann von den Rachegöttinnen verfolgt, fand 
endlich Ruhe auf einer neu entstandenen Insel, ward zuletzt durch die Söhne des Königs Phegeus zu 
Psophis ermordet. — 5) Neun Homilien über die sechs Schöpfungstage. — 6) Nicht über die 
Sage, sondern über die biblisch beglaubigte Geschichte der Weltschöpfung hat Basilius 
Homilien gehalten.
	        
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