XIV. • Hymne.
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Halleluja dem Schaffenden1)! mehr, wie
die Erden, die quollen l
Mehr, wie die Siebengestirne, die ans
Strahlen zusammenströmten 2)!
6. Aber^) dn, Frühlingswürmchen,
Das grünlichgolden neben mir spielt H,
Du lebst, und bist vielleicht,
Ach, nicht unsterblich!
7. Ich bin herausgegangen, anzubeten,
Und ich weine? Vergib, vergib
Auch diese Thräne dem Endlichen,
O dn, der sein wird 5)!
8. Du wirst die Zweifel alle mir ent¬
hüllen,
O du, der mich durch das dunkle Thal
Des Todes führen wird 6)! Ich lerne
dann,
Ob eine Seele das goldene Würmchen
hatte.
9. Bist du nur gebildeter Staub7),
Sohn des Mais, so werde denn
Wieder verfliegender Staub,
Oder was sonst der Ewige will!
10. Ergenß von neneni, du, mein Auge,
Freudenthränen'
Du, meine Harfe,
Preise den Herrn *0!
11. Umwunden wieder, mit Palmen 9)
Ist meine Harf umwunden! Ich singe
dem Herrn 10)!
Hier steh ich. Rund um mich
Ist alles Allmacht^)! und Wunder
alles!
12. Mit tiefer Ehrfurcht schau ich die
Schöpfung an,
Denn du,
Namenloser12), dn
Schufest sie!
13. Lüfte, die um mich wehn, und sanfte
Kühlung
Ans mein glühendes Angesicht hauchen,
1) „Das Partizipium anstatt des Substantivs Schöpfer, weil das Schaffen als noch
fortwährend dargestellt werden soll." Delbrück. — 2) Ich bin mehr als alle Welten; denn
ich bin unsterblich Denselben Gedanken spricht der Dichter aus in der Ode: Dem Allgegen¬
wärtigen: „Hier steh ich Erde: was ist mein Leib gegen diese selbst den Engeln unzählbaren
Welten, Was sind diese selbst den Engeln unzählbaren Welten Gegen meine Seele! Ihr, der Unsterb¬
lichen, ihr, der Erlösten, Bist du näher, als den Welten: Denn sie denken, sie suhlen Deine Gegen¬
wart nicht." Vgl. Str. 2 in: Dem Erlöser. S. 371. — 3) „Dies aber und die ganze Stelle kann
doppelt verstanden werden. Der Dichter freute sich eben des Gefühls, daß er als lebendes Wesen mehr
sei als Sonne und Erde. Jetzt sieht er einen Goldkäfer; auch dieser lebt; aber unsterblich ist er nicht,
und der Schöpfung sich freuen kann er nicht. Die Stelle drückt nun entweder Mitleiden mit deni
Käfer aus, oder den plötzlich aufsteigenden Gedanken, daß Leben und Unsterblichkeit au und für sich
einst in nothwendigem Zusammenhange stehen." Gotzing er. „D'er Anblick des neben ihm spielen¬
den Goldwürmchens erregt in dem Dichter den Zweifel, ob es, so wie die Empfindungskraft, so auch
die Unsterblichkeit mit ihm theile. Daher fängt diese Str. mit aber an." Delbrück. Die Herbei¬
ziehung des Frühlingswürmchens hat nach H. Kurz etwas Weinerliches, zugleich Überflüssiges, Un¬
poetisches. Die Anschauung der Natur, sagt derselbe, soll keine bloß brütende, sie soll beseelend sein;
der Dichter soll vermöge seiner Schöpferkraft allem Leblosen Leben einhauchen, ihm seine eigene Seele
mittheilen. So wird er aber seine eigenen Leiden und Freuden schildern, und der wehmüthige Rück¬
blick auf das Seelenlose wird zu eignem Schmerze werden. — 4) d. i. schillert, hu Sonnenlichte
glänzt. — 5) Vgl. 2. Mos. 3, 14: „Da sprach Gott zu Moses, ich bin, der ich bin." Offenbar. 1, 8 :
„Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht Gott: der Herr, der da ist, und der
da war, und der da kommen wird."^— 6) Vgl. Ps. 22 (23), 4: „Denn wenn ich auch wandle mitten
im Todesschatten, so will ich nichts Übles fürchten, weil du bei mir bist." — 7) b. i. organisierter
Stoff (Materie), welchen der Frühling (Mai) erzeugt. — 8) Vgl. Ps. 56 (57), 9: „Steh auf,
Psalter und Harfe!" Ps. 107 (108), 2: „Bereit ist mein Herz, o Gott, bereit mein Herz: ich will
singen und spielen in meiner Ehre." — 9) „Palmen, metonymisch für Palmenzweige. Diese
sind gewöhnlich ein Symbol des Sieges, hier aber, wie oster, ein Symbol der Freude." Delbrück.
— 12) Vgl. Ps. 12 (13), 6: „Ich will singen dem Herrn, der mir Gutes gethan, und lobsingen deni
Namen des Herrn, des Allerhöchsten." — 10) Alles Geschöpf und Zeuge deiner Allmacht. — 12)
@ott nennt sich im alten Testament (2. Buch Mos. 3, 14. 6, 3) Jehova d. i. den Ewigen, und
Adonai d. i. den Herrn, legt sich aber keinen besonderen Namen bei.
K e h x c ilt, Lesebuch. Obere Lehrstuse.
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