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Geschichtlicher Überblick der deutschen Verskuust.
Das zeigt uus au, daß die Sprache viel mehr ausgearbeitet, allein auch in den Grund¬
lagen ihrer Lautverhältnisse angegriffen werden ist und hierin manchen Schaden er¬
litten hat.
§. 14. Nhd. machte sich der Ten allmählich immer mehr geltend, und der mhd.
Unterschied der Vokale in Wörtern wie wagen (Wagen) und wägen (wagen), böte (Bote)
und brüte (Brote) ist vernichtet. Der so betonte Larit ist weder kurz noch lang, läßt sich
aber eher der alten Länge als Kürze vergleichen. Vgl. goth. in, bi, mhd. in, bi, nhd. ein,
b e i. Diese Vergröberung der Aussprache und des Gehörs hatte auch Einfluß ans die
Vokale einshlbiger Wörter. Vorgearbeitet hatten schon die ungenauen mhd. Reime nana:
kram ; sun : tuen.
8- 15. Vor zwei Konsonanten hat sich der kurze Vokal erhalten (8- 10.) Das zu¬
tretende t der Flexion vermag jedoch in Verben, deren von einfachem Konsonanten begleiteter
Vokal die Kürze verloren hatte, sie nicht herzustellen, z. B. in bewahrt, spart. Das
mhd. bewarb lautete völlig wie zart, d. h. mit kurzem, geschärftem a (wie im nhd. hart).
Bemerkenswerth sind einige Formen auf rd, rt, rth, welche die Kürze einbüßen: Erde,
Herd, Her de, Pferd, Schwert, werth, Art, Bart, Fahrt, zart, was sich
vielleicht ans einer nachempfundenen Brechung erklären läßt. Vgl. die mittelniederl.
Brechung des a in ae: waert, aerde, swaert. — In Arzt, Harz, Geburt, Börs
(Fischart), Obst, Magd und Mond schwankt die Aussprache nach der Örtlichkeit.
8> 16. So sehr geneigt die heutige Sprache ist, den ursprünglichen Kürzen Abbruch
zu thun, ereignen sich doch auch einige Fälle, in welchen umgekehrt die organische Länge eine
Kürzung erleidet: Jammer, immer, M u t t e r, Rache, lassen, müssen (mhd.
jämer, iemer, muoter, räche, läzen, rnuezen). Es geschieht unter den Einflüssen jener
Kensonantverdoppelung (8. 9). Auch den zusammengezogenen Formen hast, hat bereitete
der häufige Gebrauch kurzes a, während das in habe gedehnt wird (mhd. hast, hat).
Anderer Art scheint die dem ersten Theil einiger Zusammensetzungen widerfahrende Ent
ziehnng der alten Länge: Hochzeit, Nachbar, Lorbeer, gehorsam (mhd. höchzit,
nächgebüre, lörber, gehorsam).
Nhd. lange, kurze, mittelzeitige Sylben.
8- 17. Für den Vers sind nhd. lang: 1) alle Haupt- oder Stammsylben in ein-
wie mehrsylbigen Wörtern; 2) mehrere s. g. untrennbareVorsylben: ab, all, ant, ans,
erz,un, ur, vor; 3) mehrere s. g. Nachsylben: at, ei, heit, keit, lein, ling,
sal, sch äst, thum; bar, haft, los, sam, fach und die Adverbia auf lings,
rücks, seits, wärts; 4) die langen Endungen in vielem Fremdwörtern: Abschlag,
Allmacht, Antlitz, Ausgang, Erzschelm, Unschuld, Urwelt, Vorschuß; Soldat,
Schmeichelei, Schüchternheit, Ewigkeit, Mägdlein, Jüngling, Trübsal, Erb¬
schaft, Reich thum, frucht bar, schmerz haft, lieb los, lügend sam, ein f-a ch , rück¬
lings, hinterrücks , diesseits, heimwärts; Peleus, Ajax, Barbar, Person.
— Werden zwei deutliche Wurzeln zusammengesetzt, so hat das so entstandene zweisylbige
Wort zwei lange Sylben, doch ist die erste stärker betont, z. B. Stürm nacht,
Nächtsturm, glänzhell, hochroth, seewärts, gleichfalls; so auch in der
Zusammensetzung mehrsylbiger mit ein- und mehrsylbigen Wörtern, z. B. Väterland,
sonnenklar, Käufleute, Kindes Mörderin. — An Abweichungen fehlt es bei
unsern Dichtern nicht. Eine allgemein verbreitete Ausnahme machen: frohlocken, herzinnig,
lobsingen, Jahrzehnd (im Gegensatz zu Jahrhundert) und mehrere Ortsnamen, z. B. Stral-
sünd, Greifswälde. Diese Abweichungen sind veranlaßt a. durch das Streben, die Be¬
deutung des Grundwortes hervorzuheben (wobei oft ein Gegensatz vorhanden oder gedacht
ist), z. B. Kärwoche, Ostertag, aber Karfreitag und Karsämstag, Ostermontag und Oster¬
dienstag, aber Ostermontag Pfingstmontag, Ostindien und Westindien, sonst Ostindien;
b. durch die mit der eben erwähnten Hervorhebung des Grundwortes in Verbindung stehende
Abschwächung des Tones der häufig gebrauchten Verstärkungswörter all, hoch, wohl,
groß, viel, voll, z. B. allweise, hochüdel, wohlthätig, großbeerig, vielbändig, Voll¬