Palme und Kamel.
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Nützlichere Gaben als das Kamel und die Palme giebt es nicht im
Morgenlande, und wie unvergleichlich den Orientalen der Segen erscheint,
den ihnen beide gewähren, beweist ihr geflügeltes Wort: „Die Palme ist
das Kamel und das Kamel ist die Palme der Wüste".
Jeder Teil des schönen Baumes von seiner Wurzel bis zu seiner
Spitze ist nutzbar. Sein Stamm ist in vielen Ländern des Orients das
einzige Bauholz, aus seinem Baste verfertigt man Matten und Stricke,
aus seinen Zweigen Dächer, Betten, Sitze, Käfige und Körbe, und wie
reiche Mengen an nährender Speise in der Herbstzeit die dichten Frucht¬
trauben unter den Palmenkronen gewähren, ist allbekannt.
Mit Sorgfalt werden die köstlichen Bäume, die männlichen wie die
weiblichen, gepflegt, und schon die alten Ägypter nannten die ersten väterliche,
die zweiten mütterliche Palmen, und verstanden sich auf die Kunst, der
Natur nachzuhelfen und mit Menschenhand den Samenstaub in die weib¬
lichen Blüten zu streuen.
Wie der Schweizer sich in der Ferne nach seinen Bergen, so sehnt sich
der Araber nach seinen Palmen. Der erste Omaijadenherrscher in Spanien
mochte in seiner neuen Heimat nicht ohne den edlen Baum leben und ließ
einen Palmenschößling aus Syrien kommen, den er in den Garten seines
Landhauses Ruhzafa bei Cördova pflanzte und pflegte. Dieser Baum
ist die Stammmutter von tausend Palmen geworden, die heute noch
im südlichen Spanien sich leise bewegen, wenn ein Windhauch ihre Krone
berührt.
Es fällt uns Neueren ebenso schwer, uns Ägypten ohne Kamel als
ohne Palme zu denken, und dennoch ist das geduldige Schiff der Wüste
erst in verhältnismäßig späten Tagen am Nil heimisch geworden. In
der Pharaonenzeit blieb es unbenutzt, obgleich es schon auf älteren Denk¬
mälern erwähnt wird, und ihm die Eroberer von Westasien häufig genug
auf ihren Kriegszügen begegnet sind. Auch in dem übrigen Nordafrika
und in der Sahara, die wir uns gar nicht mehr ohne Kamel vorzustellen
vermögen, ward es erst in nachchristlicher Zeit allgemein benutzt. Mit
den arabischen Heeren kam es zu Tausenden an den Nil und folgte ihnen
auf ihren Zügen gegen den Westen. Wie schnell es sich da, wo es die
Bedingungen seiner Existenz findet, einzubürgern vermag, das beweist die
Geschichte der jüngsten Zeit. Nach dem Krimkriege wanderten Tataren
mit ihren Kamelen in die Dobrudscha, der bis dahin dieses Tier fremd
geblieben war, ein, und vor kurzem fand es v. Krem er dort völlig heimisch
und sah in Galatz tatarische Karren, von Kamelen gezogen, die gefrorene
Donau überschreiten.
In Ägypten trägt das Höckertier alle Lasten, zieht den Pflug, treibt
daS Schöpfrad, durchjagt und durchschreitet mit dem Beduinen und Pilger
die Wüste und beschenkt seinen Besitzer mit Milch und seiner weichen, zu
groben und feinen Geweben tauglichen Wolle. Georg Ebers.
K e h r e i n, Lesebuch. II.