Full text: Das Vaterland (4 = 5. u. 6. Schulj)

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Der Husar drängte sich in der Halle hastig voran, ging, ohne sich 
umzusehen, an der Sakristei und dem Altar vorüber und schritt, so schnell 
es sein Alter erlaubte, klirr! klirr! die Chortreppe hinauf. Hier setzte er 
sich, Atem schöpfend, aus eine Bank und rief mir gebieterisch zu: „Schul¬ 
meister, mach Er die Orgel auf und geb Er mir ein Gesangbuch!" — Ich 
that augenblicklich, was er verlangte, meine Frau mußte die Bälge ziehen, 
der Husar hatte ein Lied ausgeschlagen und sagte nun in einem milderen 
Tone: „Wie schön leuchtet der Morgenstern! Spiel Er das, lieber Schul¬ 
meister; aber so recht fein und ordentlich, Er versteht mich wohl!" 
Ich spielte mit Herzenslust, und nach geendetem Vorspiel fiel der 
Soldat mit einer tiefen Baßstimme ein; meine Frau hinter der Orgel und 
ich thaten ein Gleiches. Mein Herz wurde so mutig, daß ich mich oft nach 
meinem Zuhörer umschaute und ihm ganz dreist in das Gesicht sah. Er 
saug mit großer Andacht, hatte die Hände gefaltet, und die hellen Thränen 
fielen über den eisgrauen Kuebelbart auf das Buch hinab. Jetzt war das 
Lied beendet; ich ging auf ihn zu; er schüttelte mir treuherzig die Hand und 
sprach: „Großen Dank, Herr Kantor! Wo ist der Gotteskasten?" — Mein 
früherer Argwohn, daß es auf Plünderung abgesehen sei, war nun gänzlich 
verschwunden. Ich holte unsere Armenbüchse, und der Husar warf ein 
Achtgroschenstück hinein. „Wir beide aber, wir teilen den Rest, Herr Schul¬ 
meister!" sagte er dann, indem er noch zwei Achtgroschenstücke aus der 
Tasche zog, „da nehm Er das eine für seine Mühe!" Ich schlug es aus; 
aber er war so ungestüm, daß ich es schlechterdings mehmen mußte. „Nehm 
Er, nehm Er", sprach er; „es klebt kein Blut daran!" — Jetzt verließ er 
das Gotteshaus, und wir begleiteten ihn. Sowohl meine Frau als ich 
waren unglaublich bewegt; ich konnte mich aber nicht enthalten, unsern 
wunderbaren Gast auf dem Kirchhofe zu fragen, wie ihm denn der Gedanke 
gekommen sei, hier seine Morgenandacht zu halten. 
„Das will ich Euch wohl sagen, Ihr lieben Leute", antwortete er, 
indem er uns beide bei der Hand nahm. „Gestern Abend sollte ein ver¬ 
lorener Posten ausgestellt werden, um mitten unter den herumschweifenden 
Patrouillen den Feind auf einem gewissen Punkte zu beobachten. Jeder 
von uns wußte, was die Sache auf sich hatte; — wir sind seit einigen 
Wochen brav daran gewesen. — Unser Rittmeister fragte nach Freiwilligen; 
niemand bezeigte Lust. Endlich ritt ich vor, und meine drei Jungen konnten 
ja wohl den alten Vater nicht allein lassen. — Er braucht es nicht zu 
wissen, Herr Schulmeister, wie wir es anfingen; — genug, wir schlichen 
uns durch und hielten die ganze Nacht auf einer buschigen Anhöhe. Links 
und rechts blitzte es um uns her; wir sahen bald hier, bald dort feindliche 
Mannschaften. Nicht meinetwegen — denn wie lange werde ich noch reiten? —- 
sondern nur wegen meiner Söhne seufzte ich in der finsteren Nacht: „Herr, 
erhalte uns!" — Kaum hatte ich das heraus, als es anfing zu dämmern, 
und der Morgenstern mir ins Auge blitzte. „Wie schön leuchtet der 
Morgenstern!" fiel mir in diesem Augenblicke aus meiner Jugendzeit ein; 
gar manches, was ich seitdem gethan, und — was wohl nicht allemal recht 
war, hing sich wie eine Bleilast daran; ich rechnete nach, seit wie viel
	        
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