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Sieg teuer bezahlen zu müssen, manche Parteien vom Prozeß nicht abhält; 
wie oft muß der Rechtsbeistand, welcher der Partei das Mißliche ihrer Sache 
vorstellt und vom Prozeß abrät, die Antwort vernehmen: sie sei fest ent— 
schlossen, den Prozeß zu führen, er möge kosten, was er wolle. 
Wie erklären wir uns eine solche, vom Standpunkt einer verständigen 
Interessenberechnung geradezu widersinnige Handlungsweise? 
Die Antwort, die man darauf gewöhnlich zu hören bekommt, ist be⸗ 
kannt: es ist das leidige Üübel der Prozeßsucht, der Rechthaberei, die reine 
Lust am Streit, der Drang, am Gegner sein Mütchen zu kühlen, selbst auf 
die Gewißheit hin, dies ebenso teuer, vielleicht noch teurer bezahlen zu 
müssen als er. 
Lassen wir einmal den Streit der beiden Privatleute aus den Augen, 
setzen wir an ihre Stelle zwei Völker. Das eine hat dem anderen wider— 
rechtlich eine Quadratmeile öden, wertlosen Landes genommen; soll letzteres 
den Krieg beginnen? Betrachten wir die Frage ganz von demselben Stand— 
punkt, von dem aus die Theorie der Prozeßsucht sie bei dem Bauern beur— 
teilt, dem der Nachbar einige Fuß von seinem Acker abgepflügt oder Steine 
auf sein Feld geworfen hat. Was bedeutet eine Quadratmeile öden Landes 
gegen einen Krieg, der Tausenden das Leben kostet, Kummer und Elend in 
Hütten und Paläste wirft, Millionen und Milliarden des Staatsschatzes ver— 
schlingt und möglicherweise das Bestehen des Staates bedroht! Welche Tor— 
heit, um einen solchen Kampfespreis solche Opfer zu bringen! 
So müßte das Urteil lauten, wenn der Bauer und das Volk mit dem— 
selben Maße gemessen würden. Gleichwohl wird niemand dem Volke denselben 
Rat erteilen wie dem Bauer. Jeder fühlt, daß ein Volk, welches zu einer 
solchen Rechtsverletzung schwiege, sein eigenes Todesurteil besiegeln würde. 
Einem Volke, das sich von seinem Nachbarn ungestraft eine Quadratmeile 
entreißen läßt, werden auch die übrigen genommen, bis es nichts mehr sein 
eigen nennt und als Staat zu existieren aufgehört hat, und ein solches Volk 
hat auch kein besseres Los verdient. 
Aber wenn das Volk sich wehren soll wegen der Quadratmeile, ohne 
nach dem Wert derselben zu fragen, warum nicht auch der Bauer wegen des 
Streifen Landes? Oder sollen wir ihn mit dem Spruche entlassen: quod licet 
Jovi, non licet bovi? Aber so wenig das Volk um der Quadratmeile, sondern 
um seiner selbst willen, seiner Ehre und seiner Unabhängigkeit wegen kämpft, 
so wenig handelt es sich in Prozessen, in denen es dem Kläger darum zu tun 
ist, sich einer schnöden Mißachtung des Rechts zu erwehren, um das gering— 
fügige Streitobjekt, sondern um einen idealen Zweck: die Behauptung der 
Person selber und ihres Rechtsgefühles. Gegenüber diesem Zweck 
fallen in den Augen des Berechtigten alle Opfer und Unannehmlichkeiten, die 
der Prozeß in seinem Gefolge hat, gar nicht weiter ins Gewicht — der Zweck 
macht die Mittel bezahlt. Nicht das nüchterne Geldinteresse ist es, das den 
Verletzten antreibt, den Prozeß zu erheben, sondern der moralische Schmerz 
über das erlittene Unrecht; nicht darum ist es ihm zu tun, bloß das Objekl 
wieder zu erlangen — er hat es vielleicht, wie dies oft in solchen Fällen zur 
Feststellung des wahren Prozeßmotivs geschieht, von vornherein einer Armen⸗ 
anstalt gewidmet —, sondern darum, sein gutes Recht zur Geltung zu bringen. 
Eine innere Stimme sagt ihm, daß er nicht zurücktreten darf, daß es sich für
	        
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