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Verwirrung vorzubeugen, welche unvermeidlich einreihen muß, wenn man bei 
einer Gesetzgebung in ästhetischen Dingen die ganz verschiedenen Felder des 
Rührenden und des Schönen verwechselt. 
Das Rührende und Erhabene kommen darin überein, daß sie Lust durch 
Unlust hervorbringen, daß sie uns also, da die Lust aus Zweckmäßigkeit, der 
Schmerz aber aus dem Gegenteil entspringt, eine Zweckmäßigkeit zu empfinden 
geben, die eine Zweckwidrigkeit voraussetzt. 
Das Gefühl des Erhabenen besteht einerseits aus dem Gefühl unserer 
Ohnmacht und Begrenzung, einen Gegenstand zu umfassen, andrerseits aber 
aus dem Gefühl unsrer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und 
dasjenige sich geistig unterwirft, dem unsere sinnlichen Kräfte unterliegen. Der 
Gegenstand des Erhabenen widerstreitet also unserm sinnlichen Vergnügen, und 
diese Unzweckmäßigkeit muß uns notwendig Unlust erwecken. Aber sie wird 
zugleich eine Veranlassung, ein anderes Vermögen in uns zu unserm Bewußt¬ 
sein zu bringen, welches demjenigen, woran die Einbildungskraft erliegt, über¬ 
legen ist. Ein erhabener Gegenstand ist also eben dadurch, daß er der Sinn 
lichkeit widerstreitet, zweckmäßig für die Vernunft und ergötzt durch das höhere 
Vermögen, indem er durch das niedrige schmerzt. 
Rührung in seiner strengen Bedeutung bezeichnet die gemischte Empfin¬ 
dung des Leidens und der Lust an dem Leiden. Rührung kann man also 
nur dann über eigenes Unglück empfinden, wenn der Schmerz über dasselbe 
gemäßigt genug ist, um der Lust Raum zu lassen, die etwa ein mitleidender 
Zuschauer dabei empfindet. Der Verlust eines großen Guts schlägt uns heute 
zu Boden, und unser Schmerz rührt den Zuschauer; in einem Jahre erinnern 
wir uns dieses Leidens selbst mit Rührung. Der Schwache ist jederzeit ein 
Raub seines Schmerzes, der Held und der Weise werden vom höchsten eigenen 
Unglück nur gerührt. 
Rührung enthält ebenso wie das Gefühl des Erhabenen zwei Bestand¬ 
teile, Schmerz und Vergnügen; also hier wie dort liegt der Zweckmäßigkeit 
eine Zweckwidrigkeit zugrunde. So scheint es eine Zweckwidrigkeit in der 
Natur zu sein, daß der Mensch leidet, der doch nicht zum Leiden bestimmt ist, 
und diese Zweckwidrigkeit thut uns wehe. Aber dieses Wehethun der Zweck¬ 
widrigkeit ist zweckmäßig für unsere vernünftige Natur überhaupt, und, inso¬ 
fern es uns zur Thätigkeit auffordert, zweckmäßig für die menschliche Gesell¬ 
schaft. Wir müssen also über die Unlust selbst, welche das Zweckwidrige in 
uns erregt, notwendig Lust empfinden, weil jene Unlust zweckmäßig ist. Um 
zu bestimmen, ob bei einer Rührung die Lust oder die Unlust hervorstechen 
werde, kommt es darauf an, ob die Vorstellung der Zweckwidrigkeit oder die 
der Zweckmäßigkeit die Oberhand behält. Dies kann nun entweder von der 
Menge der Zwecke, die erreicht oder verletzt werden, oder von ihrem Verhält¬ 
nis zu dem letzten Zweck aller Zwecke abhängen. 
Das Leiden des Tugendhaften rührt uns schmerzhafter als das Leiden 
des Lasterhaften, weil dort nicht nur dem allgemeinen Zweck der Menschen 
glücklich zu sein, sondern auch dem besondern, daß die Tugend glücklich mache, 
hier aber nur dem erstern widersprochen wird Hingegen schmerzt uns das 
Glück des Bösewichts auch weit mehr als das Unglück des Tugendhaften, weil 
erstlich das Laster selbst und zweitens die Belohnung des Lasters eine Zweck¬ 
widrigkeit enthalten.
	        
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