Full text: Auswahl aus der deutschen Dichtung in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Teil 4a = Erg.-Bd. (Poesie))

102 
B. Von Opitz bis Klopstock. 
(1624—1748.) 
Me Zeit der Nachahmung. 
I. Martin GpLtz von Woberkeld. 
M. Opitii Buch von der deutschen Poeterey. Breßlaw, Dav. Müller. 1624. (Neu¬ 
drucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts von W. Braune. 
Halle 1886.) — Opitz' Gedichte. Ausgabe von Oesterley, Stuttgart, Spemann. 
Martin Opitz wurde 1597 zu Bunzlau in Schlesien geboren und studierte in Frankfurt 
a. O. und Heidelberg die Rechte und die schöne Literatur.' Später trat er nacheinander 
in die Dienste verschiedener Fürsten. Mit dem Erscheinen seines Buches von der deutschen 
Poeterei 1624 beginnt in der Geschichte der deutschen Poesie eine neue Periode. Vom 
deutschen Kaiser wurde Opitz 1625 geadelt. Später lebte er als Sekretär und Historio¬ 
graph des Königs von Polen zu Danzig, wo er 1639 an der Pest starb. Er war das 
Haupt der ersten Schlesischen Dichterschule. 
i. Hus dem „8uck von der Deutschen poeterey“. 
Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein iambicus oder trochaicus; nicht 
zwar das wir aufs art der griechen vnnd lateiner eine gewisse grösse der sylben 
können inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen, 
welche sylbe hoch vnnd welche niedrig gesetzt soll werden. Ein Jambus ist dieser: 
Erhalt vns Herr bey deinem wort. 
Der folgende ein Trocheus: 
Mitten wir im leben sind. 
Dann in dem ersten Verse die erste sylbe niedrig, die andere hoch, die dritte 
niedrig, die Vierde hoch, vnd so fortan, in dem anderen Verse die erste sylbe hoch, 
die andere niedrig, die dritte hoch, rc. außgesprochen werden. Wiewol nun meines 
Wissens noch niemand, ich auch vor der zeit selber nicht, dieses genawe in acht ge¬ 
nommen, scheinet es doch so hoch von nöthen zue sein, als hoch von Nöthen ist, das 
die Lateiner nach den quantitatibus oder grossen der sylben jhre Verse richten vnd 
reguliren. Denn es gar einen übelen klang hat: 
Venus die hat Juno nicht vermocht zue obsiegen; 
weil Venus vnd Juno Jambische, vermocht ein Trocheisch wort sein soll: obsiegen 
aber, weil die erste sylbe hoch, die andern zwo niedrig sein, hat eben den thon 
welchen bey den lateinern der dactylus hat, der sich zueweilen (denn er gleichwol 
auch kan geduldet werden, wenn er mit vnterscheide gesatzt wird) in vnsere spräche, 
wann man dem gesetze der reimen keine gewalt thun wil, so wenig zwingen leßt, als 
castitas, pulchritudo vnd dergleichen in die lateinischen hexametros vnnd pentametros 
zue bringen sind. Wiewol die Frantzosen vnd andere, in den eigentlichen namen 
sonderlich, die accente so genawe nicht in acht nemen wie ich dann auch aufs art des 
Ronsardts*) in einer Ode geschrieben: 
*) Pierre de Ronsard, französischer Dichter, st 1585.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.