Full text: Auswahl aus der deutschen Dichtung in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Teil 4a = Erg.-Bd. (Poesie))

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9. Allein wohin auch nie die milde Sonne büket, 
Wo ein beständ'ger Frost das kalte Thal entlaubt, 
Wird holer Felsen Grufft mit einer Pracht geschmüket, 
Die keine Zeit versehrt, und nie der Winter raubt Z. 
Im nie erhellten Grund von unterirrd'schen Pfühlen 
Wölbt sich der feuchte Leim mit funkelndem Krystall. 
Ein Felß von Edelstein, wo tausend Farben spielen, 
Blizt durch die düstre Lufft und stralet überall. 
O Reichtum der Natur! verkriecht euch, welsche Zwerge, 
Europens Diamant blüht hier, und wächßt zum Berges. 
Von hier ab wird im Lesebuch die deutsche Rechtschreibung von 1901 
angewandt; dabei soll aber den einzelnen Dichtern die Eigentümlichkeit 
in der Bildung der Formen durchaus gewahrt bleiben. 
Xl. Friedrich von Dagedorn. 
Ausgabe von F. Munter. Stuttgart. 
Geboren 1708 zu Hamburg, lebte Hagedorn einige Zeit in London, wurde in seiner 
Vaterstadt Sekretär einer großen Handelsgesellschaft und starb daselbst im Jahre 1754. 
u Der Mat. 
1. Der Nachtigall reizende Lieder 
Ertönen und locken schon wieder 
Die fröhlichsten Stunden ins Jahr. 
Nun singet die steigende Lerche, , 
Nun klappern die reisenden Störche, 
Nun schwatzet der gaukelnde Star. 
2. Wie munter sind Schäfer und Herde! 
Wie lieblich beblümt sich die Erde! 
Wie lebhaft ist itzo die Welt! 
Die Tauben verdoppeln die Küsse, 
Der Entrich besuchet die Flüsse, 
Der lustige Sperling sein Feld. 
3. Wie gleichet doch Zephyr der Floren! 
Sie haben sich weislich erkoren, 
Sie wählen den Wechsel zur Pflicht, 
Er flattert um Sprossen und Garben, 
Sie liebet unzählige Farben, 
Und Eifersucht trennet sie nicht. 
4. Nun heben sich Binsen und Keime, 
Nun kleiden die Blätter die Bäume, 
Nun schwindet des Winters Gestalt; 
Nun rauschen lebendige Quellen 
Und tränken mit spielenden Wellen 
Die Triften, den Anger, den Wald. 
5. Wie buhlerisch, wie so gelinde 
Erwärmen die westlichen Winde 
Das Ufer, den Hügel, die Gruft! 
Die jugendlich scherzende Liebe 
Empfindet die Reize der Triebe, 
Empsindet die schmeichelnde Luft. 
6. Nun stellt sich die Dorfschaft in Reihen, 
Nun rufen euch eure Schalmeien, 
Ihr stampfenden Tänzer! hervor. 
Ihr springet auf grünender Wiese, 
Der Bauerknecht hebet die Liese 
In hurtiger Wendung empor. 
1) Die Krystall-Mine auf der Grimsel, wo Stücke des vottkommsten Krystalls von 
etlich Centnern gefunden werden, dergleichen man in andern Ländern niehmals gesehen. 
(Anmerk. Hallers.) 
2) Krystallblüthe heißt man allerlei Anschüsse, die um die Krystallgruben gemein sind. 
(Anmerk. Hallers.)
	        
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