Full text: Auswahl aus der deutschen Dichtung in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Teil 4a = Erg.-Bd. (Poesie))

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Statt Witz und Tugend ist, 
Der durch Kabalen steigt, des Fürsten Gunst erstiehlt, 
Mit Wort und Schwur als Komplimenten spielt, 
Ein solcher Mann, ein großer Hosmann sein, 
Schließt das Lob oder Tadel ein? 
6» Die Sonne» 
1. Der Stern, durch den es bei uns tagt: 
„Ach, Dichter, lern' wie unsereiner sprechen! 
Muß man, wenn du erzählst 
Und uns mit albern Fabeln quälst, 
Sich denkend noch den Kopf zerbrechen?" — 
Nun gut! die Sonne ward gefragt, 
Ob sie es nicht verdrösse, 
Daß ihre unermeßne Größe 
Die durch den Schein betrogne Welt 
Im Durchschnitt größer kaum als eine Spanne hält? 
2. „Mich," spricht sie, „sollte dieses kränken? 
Wer ist die Welt? Wer sind sie, die so denken? 
Ein blind Gewürm! Genug, wenn jene Geister nur, 
Die auf der Wahrheit dunkeln Spur 
Das Wesen von dem Scheine trennen, 
Wenn diese mich nur besser kennen!" 
3. Ihr Dichter, welche Feur und Geist 
Des Pöbels blödem Blick entreißt, 
Lernt, will euch mißgeschätzt des Lesers Kaltsinn kränken, 
Zufrieden mit euch selbst, stolz wie die Sonne denken! 
e) dber die Regeln der poefie und Conkunst» 
(Aus dem Gedichte „An den Herrn Marpurg.") 
Die Regeln sind dazu, daß wir nicht dürfen schweigen, * 
Wenn Meister emsig sind und sich in Taten zeigen. 
Wer hat so müß'ge Zeit und sitzet mühsam still, 
Daß er erst alles lern', wovon er reden will? 
5 Ein Weiser braucht den Mund zum Richten und am Tische. 
Wer schweigt, ist dumm. Drum sind das dümmste Vieh die Fische. 
Bei einem Glase Wein kommt manches auf die Bahn; 
Da heißt es: rede hier, daß man dich sehen kann. 
Und reden kann man ja. Vom Setzen, Dichten, Malen 
10 Lehrt auch das kleinste Buch, wo nichts verstehn, doch prahlen. 
Der Schwätzer hat den Ruhm, dem Meister bleibt die Müh. 
Das ist der Regeln Schuld, und darum tadl' ich sie. 
Doch meinet man vielleicht, daß sie dem Meister nützen? 
Man irrt; das hieß die Welt mit Elefanten stützen. 
15 Ein Adler hebet sich von selbst der Sonne zu;
	        
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