Full text: Auswahl aus der deutschen Dichtung in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Teil 4a = Erg.-Bd. (Poesie))

Heiliger Vergangenheit, 
Ruh ihr Geist auf dir! 
Welchen der umschwebt, 
Wird in Götterselbstgefühl 
Jedes Tags genießen. 
Voller Keim, blüh' auf, 
Des glänzenden Frühlings 
Herrlicher Schmuck, 
Und leuchte vor deinen Gesellen! 
Und welkt die Blütenhülle weg, 
Dann steig' aus deinem Busen 
Die volle Frucht 
Und reife der Sonn' entgegen. 
Frau: 
Gesegne's Gott! — Und schläft er noch? 
Ich habe nichts zum frischen Trunk 
Als ein Stück Brot, das ich dir bieten kann. 
Wandrer: 
Ich danke dir. 
Wie herrlich alles blüht umher 
Und grünt! 
Frau: 
Mein Mann wird bald 
Nach Hause sein 
Vom Feld! O bleibe, bleibe, Mann! 
Und iß mit uns das Abendbrot. 
Wandrer: 
Ihr wohnet hier? 
Frau: 
Da, zwischen dem Gemäuer her. 
Die Hütte baute noch mein Vater 
Aus Ziegeln und des Schuttes Steinen. 
Hier wohnen wir. 
Er gab mich einem Ackersmann 
Und starb in unsern Armen. — 
Hast du geschlafen, liebes Herz? 
Wie er munter ist und spielen will! 
Du Schelm! 
Wandrer: 
Natur! du ewig keimende, 
Schaffst jeden zum Genuß des Lebens, 
Hast deine Kinder alle mütterlich 
Mit Erbteil ausgestattet, einer Hütte. 
Hoch baut die Schwalb' an das Gesims, 
240 — 
Unfühlend, welchen Zierat 
Sie verklebt; 
Die Raup' umspinnt den goldnen Zweig 
Zum Winterhaus für ihre Brut; 
Und du flickst zwischen der Vergangenheit 
Erhabne Trümmer 
Für dein Bedürfnis 
Eine Hütte, o Mensch, 
Genießest über Gräbern! — 
Leb' wohl, du glücklich Weib! 
Frau: 
Du willst nicht bleiben? 
Wandrer: 
Gott erhalt' Euch, 
Segn' Euren Knaben! 
Frau: 
Glück auf den Weg! 
Wandrer: 
Wohin führt mich der Pfad 
Dort übern Berg? 
Frau: 
Nach Cuma. 
Wandrer: 
Wie weit ist's hin? 
Frau: 
Drei Meilen gut. 
Wandrer: 
Leb' wohl! 
O leite meinen Gang, Natur! 
Den Fremdlings-Reisetritt, 
Den über Gräber 
Heiliger Vergangenheit 
Ich wandle. 
Leit' ihn zum Schutzort, 
Vorm Nord gedeckt, 
Und wo dem Mittagsstrahl 
Ein Pappelwäldchen wehrt. 
Und kehr' ich dann 
Am Abend heim 
Zur Hütte, 
Vergoldet vom letzten Sonnenstrahl: 
Laß mich empfangen solch ein Weib, 
Den Knaben auf dem Arm!
	        
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