Altdeutsche Literatur.
(Althochdeutsche und altniederdeutsche Dichtungen.)
Von den ältesten leiten bis auf die RreuLzüge (—1100).
1. Die Merseburger Zaubersprüclie.
Nach W. Braune, Althochdeutsches Lesebuch. Halle.
Die Sprüche entstammen dem 8. Jahrhundert und sind i. J. 1841 in Merseburg auf¬
gefunden. Die Alliteration des Stabreimes ist hier wie auch später durch Fettdruck
hervorgehoben.
a) Spruch zur Befreiung eines Gefangenen.
Eiris säzun idisi, säzun hera duoder.
suma hapt heptidun, suma taeri lezidun,
- suma clübödun umbi cuoniouuidi:
insprinc haptbandun, invar vigandun!
Einst saßen Idise1), saßen hier und da,
einige Haft hefteten, einige das Heer hemmeten,
einige klaubten an Kniefesseln:
entspring den Haftbanden, entfahre den Feinden!
b) Spruch zur Heilung einer Beinverrenkung.
Phol ende Uuodan vuorun zi holza.
du uuart demo Balderes volon sin vuoz birenkit.
thu biguolen Sinthgunt, Sunna erä suister,
thu biguolen Friia, Volla era suister;
5 thu biguolen Uuodan, so he uuola conda,
söse benrenki, söse bluotrenki,
söse lidirenki:
ben zi bena, bluot zi bluoda,
lid zi geliden, söse gelimida sin!
Phol2) und Wodan fuhren zu Holze,
da ward dem Balders Fohlen sein Fuß verrenket,
da besprach ihn Sinthgunt3) (und) Sunna, ihre Schwester,
da besprach ihn Frija (und) Volla4), ihre Schwester:
5 da besprach ihn Wodan, wie er wohl konnte,
4) Walküren, Schlachtenjungfrauen. — 2) — Baldur. — 3) Schwester der Sunna,
vielleicht Morgen- und Abendstern. — 4) Göttin der Fülle, des Reichtums, Schwester
der Frija (Freja).