Full text: Auswahl aus der deutschen Dichtung in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Teil 4a = Erg.-Bd. (Poesie))

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35 Sein Schwert er faßt' und wollte gehen; 
Da sah er das Gespenst aufstehen, 
Sich drohend ihm entgegenrecken, 
Die Arme in die Weite strecken, 
Als wollt' es mit Gewalt ihn fassen 
40 Und nicht mehr aus der Kirche lassen. 
Richard besann sich kurze Weile, 
Er schlug das Haupt ihm in zwei Teile; 
Ich weiß nicht, ob es wehgeschrien, 
Doch mußt's den Grafen lassen ziehn. 
Er fand sein Pferd am rechten Orte. 45 
Schon ist er aus des Kirchhofs Pforte, 
Als er der Handschuh erst gedenkt; 
Er läßt sie nicht, zurück er lenkt, 
Hat sie vom Stuhle weggenommen. 
Wohl mancher wär' nicht wiederkommen. 50 
g) Gustav Schwab. 
Lesebuch II, Nr. 198: Die Schildbürger. II, Nr. 222 und G. S., Nr. 93: Das Gewitter. 
II, Nr. 274: Der Reiter und der Bodensee. 
Gedichte von Gustav Schwab. Neue Auswahl. 4. Aust. Stuttgart. 1851. 
Gustav Schwab, geboren 1792 zu Stuttgart, Freund Uhlands und Kerners, studierte in 
Tübingen Theologie und Philologie, wurde Gymnasiallehrer und starb 1850 zu Stuttgart als 
Oberkonsistorial- und Oberstudienrat. 
1. Der Bäuerin Süden» 
„Herr Pfarrer, der Ihr vieles wißt, 
Herr Pfarrer, sagt mir, wo Süden ist!" 
„„Dort, wo von Felsen unterbaut, 
Das Nest des Hohenzollern graut."" 
5 Das Weiblein schüttelt den Kopf und spricht: 
„Ach, Herr, das ist mein Süden nicht!" 
„„Nun, Süden ist, so weit man reist, 
So weit, so weit mein Finger weist. 
Erst hohes Land, Berg, Ebne, See, 
10 Dann eine Mauer von ew'gem Schnee. 
Dann Täler, wo der Ölbaum blüht, 
Die Pomeranze goldig glüht. 
Dann breitet sich das Tal nach vorn 
Mit gelbgelocktem, welschem Korn, 
15 Weinranken, klares Himmelsblau, 
Ein irdisch Paradies, o Frau!"" 
Die Bäurin traurig wieder spricht: 
„Ach, Herr, daß ist mein Süden nicht!" 
„„Dann Städte, Münster allenthalb 
20 Mit Türmen, hoch wie unsre Alp! 
Dann grüner Bergwald in die Quer 
Und plötzlich dann das blaue Meer; 
Und Schiffe g'nug im schnellen Lauf —"" 
„Das ist mein Süden, Herr, hört auf! 
25 Dort zimmert im Schiss mein einziges Kind, 
Behüt' es Gott vor Wellen und Wind!
	        
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