Full text: Auswahl aus der deutschen Dichtung in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Teil 4a = Erg.-Bd. (Poesie))

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2. Voll unerfüllter Träume, 
Verwaist, in Gram versenkt, 
Entfallen mir die Zäume, 
Die dieses Reich gelenkt. 
Ein andrer mag es zügeln 
Mit Händen minder schlaff, 
Von diesen sieben Hügeln 
Bis an des Nordens Haff! 
3. Doch selbst im Seelenreiche 
Harrt meiner noch die Schmach, 
Es folgt der blassen Leiche 
Vergangner Frevel nach; 
Vergebens mit Gebeten 
Beschwör' ich diesen Bann, 
Und mir entgegentreten 
Erescentius und Johann! 
4. Doch nein! Ihr Zürnen beugte 
Mein reuemütig Flehn; 
Ihn, welcher mich erzeugte, 
Ihn werd' ich Wiedersehn! 
Nach welchem ich als Knabe 
So oft vergebens frug, 
An seinem frühen GrabeZ 
Hab' ich geweint genug. 
5. Des deutschen Volks Berater 
Umwandeln Gottes Thron; 
Mir winkt der Ältervater 
Mit seinem großen Sohn. 
Und während voll von Milde 
Die frommen Hände legt 
Mir aus das Haupt Mathilde, 
Steht Heinrich tiefbewegt. 
6. Nun fühl' ich erst, wie eitel 
Des Glücks Geschenke sind, 
Wiewohl ich auf dem Scheitel 
Schon Kronen trug als Kind! 
Was je mir schien gewichtig, 
Zerstiebt wie ein Atom. 
O Welt, du bist so nichtig, 
Du bist so klein, o Rom! 
7. O Rom, wo meine Blüten 
Verwelkt wie dürres Laub, 
Dir ziemt es nicht, zu hüten 
Den kaiserlichen Staub! 
Die mir die Treue brachen, 
Zerbrächen mein Gebein; 
Beim großen Karl in Aachen 
Will ich bestattet sein. 
8. Die echten Palmen wehen 
Nur dort um sein Panier; 
Ich hab' ihn liegen sehen 
In seiner Kaiserzier. 
Was durfte mich verführen, 
Zu öffnen seinen Sarg, 
Den Lorbeer anzurühren, 
Der seine Schläfe barg? 
9. O Freunde, laßt das Klagen! 
Mir aber gebt Entsatz 
Und macht dem Leichenwagen 
Mit euren Waffen Platz! 
Bedeckt das Grab mit Rosen, 
Das ich so früh gewann, 
Und legt den tatenlosen 
Zum tatenreichsten Mann! 
3. Veneckig. 
Venedig liegt nur noch im Land der Träume, 
Und wirft nur Schatten her aus alten Tagen, 
Es liegt der Leu^) der Republik erschlagen, 
Und öde feiern seines Kerkers Räume. 
Die ehrnen Hengste, die durch salz'ge Schäume 
Dahergeschleppt, auf jener Kirche ragen, 
*) Otto II. lag in der alten Peterskirche zu Rom begraben. 
2) Der Löwe, das Symbol des heiligen Markus, des Schutzheiligen von Venedig, 
ist auch das Wappen Venedigs.
	        
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