Full text: Deutsches Lesebuch für die oberen Klassen höherer Schulen

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Friedrich von Schiller. (1759—1805.) 
Und die Speicher, vom Segen gebogen, 
Und des Kornes bewegte Wogen, 
140 Rühmt sich mit stolzem Mund: 
Fest, wie der Erde Grund, 
Gegen des Unglücks Macht 
Steht mir des Hauses Pracht! 
Doch mit des Geschickes Mächten 
145 Ist kein ew'ger Bund zu flechten, 
Und das Unglück schreitet schnell. 
Wohl! Nun kann der Guß beginnen^ 
Schön gezacket ist der Bruchs) 
Doch, bevor wir's lassen rinnen, 
150 Betet einen frommen Spruch! 
Stoßt den Zapfen aus! 
Gott bewahr' das Haus! 
Rauchend in des Henkels Bogen 
Schießt's mit feuerbraunen Wogen. 
Durch der Hände lange Kette 
Um die Wette 
195 Fliegt der Eimer, hoch im Bogen 
Spritzen Quellen, Wasserwogen. 
Heulend kommt der Sturm geflogen, 
Der die Flamme brausend sucht. 
Prasselnd in die dürre Frucht 
200 Fällt sie, in des Speichers Räume, 
In der Sparren dürre Bäume, 
Und als wollte sie im Wehen 
Mit sich fort der Erde Wucht 
Reißen in gewalt'ger Flucht, 
205 Wächst sie in des Himmels Höhen 
Riesengroß! 
Hoffnungslos 
Weicht der Mensch der Götterstärke,. 
Müßig sieht er seine Werke 
2io Und bewundernd untergehn. 
155 Wohlthätig ist des Feuers Macht, 
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht, 
Und was er bildet, was er schafft, 
Das dankt er dieser Himmelskraft; 
Doch furchtbar wird die Himmelskraft, 
160 Wenn sie der Fessel sich entrafft, 
Einhertritt auf der eignen Spur, 
Die freie Tochter der Natur. 
Wehe, wenn sie losgelassen, 
Wachsend ohne Widerstand, 
165 Durch die volkbelcbten Gassen 
Wälzt den ungeheuren Brand! 
Denn die Elemente hassen 
Das Gebild der Menschenhand. 
Aus der Wolke 
170 Quillt der Segen, 
Strömt der Regen; 
Aus der Wolke, ohne Wahl, 
Zuckt der Strahl. 
Hört ihr's wimmern hoch vom Turm? 
175 Das ist Sturm! 
Rot, wie Blut, 
Ist der Himmel: 
Das ist nicht des Tages Glut! 
Welch Getümmel 
180 Straßen auf! 
Dampf wallt auf! 
Flackernd steigt die Feuersäule; 
Durch der Straße lange Zeile 
Wächst es fort mit Windeseile; 
185 Kochend, wie aus Ofens Rachen, 
Glühn die Lüfte, Balken krachen, 
Pfosten stürzen, Fenster klirren, 
Kinder jammern, Mütter irren, 
Tiere wimmern 
190 Unter Trümmern;' 
Alles rennet, rettet, flüchtet, 
Taghell ist die Nacht gelichtet; 
Leergebrannt 
Ist die Stätte, 
Wilder Stürme rauhes Bette. 
In den öden Fensterhöhlen 
215 Wohnt das Grauen, 
Und des Himmels Wolken schauen 
Hoch hinein. 
Einen Blick 
Nach dem Grabe 
220 Seiner Habe 
Sendet noch der Mensch zurück, — 
Greift fröhlich dann znm Wanderstabe. 
Was Feuers Wut ihm auch geraubt; 
Ein süßer Trost ist ihm geblieben: 
225 Er zählt die Häupter seiner Lieben, 
Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupte 
In die Erd' ist's aufgenommen, 
Glücklich ist die Form gefüllt; 
Wird's auch schön zu Tage kommen, 
230 Daß es Fleiß und Kunst vergilt? 
Wenn der Guß mißlang? 
Wenn die Form zersprang? 
Ach! vielleicht, indem wir hoffen. 
Hat uns Unheil schon getroffen. 
235 Dem dunkeln Schoß der heil'gen Erde 
Vertrauen wir der Hände That, 
Vertraut der Sämann seine Saat 
Und hofft, daß sie entkeimen werde 
Zum Segen, nach des Himmels Rat, 
240 Noch köstlicheren Samen bergen 
Wir trauernd in der Erde Schoß, 
Und hoffen, daß er aus den Särgen 
Erblühen soll zu schönerm Loos. 
Von dem Dome, 
245 Schwer und bang, 
1) Vor dem Gusse wird an einem erkalteten Teile des Metalls nach der Stärke der beim Bruch ent¬ 
standenen Zacken die Richtigkeit des Mischungsverhältnisses geprüft, ehe durch Ausstößen des Zapfens 
das flüssige Metall in die Form geleitet wird.
	        
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