Full text: Deutsches Lesebuch für die oberen Klassen höherer Schulen

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Schuld sogleich bezahlt.“ Da weinte die Mutter bitterlich und sagte: 
„Ach, die Pflege des kranken Kindes hat allen meinen Verdienst ver— 
zehrt und meine Arbeit gehindert!“ Und die Kinder flehten mit der 
Mutter, sie nicht zu verstoßen. 
Aber Pohl wandte sich weg von ihnen und ging in sein Garten— 
haus und legte sich auf das Polster, um zu ruhen, wie er pflegte. 
Es war aber ein schwüler Tag, und dicht am Gartensaale floß ein 
Strom, der verbreitete Kühlung, und es war eine Stille, daß kein 
Lüftchen sich regte. Da hörte Pohl das Gelispel des Schilfs am 
Ufer, aber es tönte ihm gleich dem Gewinsel der Kinder der armen 
Witwe; und er ward unruhig auf seinem Polster. Darnach horchte 
er auf das Rauschen des Stromes, und es deuchte ihm, als ruhte er 
am Gestade eines öden, großen Meeres, und er wälzte sich auf seinem 
Pfühle. — Als er nun wieder horchte, erscholl aus der Ferne der 
Donner eines aufsteigenden Gewitters; da war ihm, als vernähme 
er die Stimme des göttlichen Gerichtes. 
Nun stand er plötzlich auf, eilte nach Hause und gebot seinen 
Knechten, die arme Witwe wieder ins Haus zurückzuführen. Aber 
sie war samt ihren Kindern in den Wald gegangen und nirgends 
zu finden. Unterdes stieg das Gewitter herauf, und es donnerte 
und fiel ein gewaltiger Regen. Pohl aber war voll Unmut und 
hatte keine Ruhe, wo er auch ging, und wo er auch saß. Am andern 
Tage vernahm er, das kranke Kind sei im Walde gestorben und die 
Mutter mit den andern hinweggezogen. Da ward ihm sein Garten 
samt dem Saal und dem Polster zuwider, und er genoß nicht mehr 
die Kühlung des rauschenden Stromes. Bald darnach fiel er in eine 
Krankheit, und in der Hitze des Fiebers vernahm er immer des 
Schilfes Gelispel und das Rauschen des Stromes und das dumpfe 
Tosen des aufsteigenden Wetters. Also verschied er. 
Krummacher. 
65. Besser offene Hand als geballte Faust. 
In der Stadt Straßburg auf dem Markte hielt eine arme 
Bauerfrau Eier feil. Da rannten zwei mutwillige Knaben an den 
Korb, stießen ihn um und liefen mit Lachen davon. Das sah ein 
anderer Knabe, und im Zorn, mit geballten Fäusten, rannte er den 
beiden nach, und denen war schon angst. Aber der Knabe blieb 
auf einmal stehen, als ob er sich besänne, kehrte dann um und lief 
nach Hause. 
Wie aber die Bauerfrau noch über ihre zerbrochenen Eier weinte, 
langte auf einmal eine kleine Hand in ihren Schoß und schüttete
	        
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