Realpolitische Betrachtung der äußeren Politik
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nationalen Lage mit allen Mitteln zu wehren. Die hohenzollemsche
Kandidatur bildete nur den äußeren Hnlaß1, über dessen Geeignetheit
die leitenden Personen in Paris nichts weniger als einig waren und bis
zuletzt schwankten- selbst die törichte Garantieforderung war nicht als
Ultimatum gedacht. 5llle diese Dinge sollte der Lehrer in aller Ruhe
mit den Schülern durchsprechen, wobei es seiner Unbefangenheit zugute
kommen wird, wenn er 1. sich in die Quellen vertieft und 2. auch eine
französische Darstellung zu Rate zieht, um zu sehen, wie die Sachen vom
anderen Lager aus erscheinen. Die Schüler werden von einer solchen
(Erörterung reichen Gewinn haben, gerade weil es sich um Vorgänge
handelt, die in unserer Vorstellung noch stark gefühlsbetont sind. Denn
das ist ja das Wesen aller politischen Kannegiejzerei, die in unserem
unpolitischen Volk so blüht, daß sie politische Dinge mit dem Gefühl,
statt mit dem verstände erfaßt, politische Handlungen individual-
moralisch beurteilt und individuelle Motive bei den handelnden vor¬
aussetzt. (Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Geschichtsunter¬
richts, dieser bis in die Gegenwart hinein so verhängnisvollen Neigung
der Deutschen durch Aufklärung am historischen Objekt entgegenzuar¬
beiten.2
Eine ebensolche realpolitische Beurteilung sollte Metternich zuteil
werden, der als österreichischer Staatsmann dem Nationalitätsprin¬
zip widerstehen mußte, und natürlich auch den deutschen Fürsten, denen
mit dem verzicht aus wesentliche Souveränitätsrechte doch nichts Leichtes
und Geringes zugemutet wurde. Ittan fürchte nicht, daß damit alles und
jedes gerechtfertigt werde: man denke z.B. an die dem Staatsinteresse
zuwiderlaufende Selbstentmündigung Preußens unter Friedrich Wil¬
helm III. oder an (Österreichs unkluge Politik im Krimkrieg gegenüber
Rußland, dem Helfer von 1849. Gerade der Krimkrieg mit seiner eigen-
1 ©bschon doch auch dies zuzugeben ist, daß es für Frankreich nicht gleich¬
gültig war, wer in Spanien König wurde, und daß die Vorbereitung der fin»
gelegenst im tiefsten Geheimnis fein Mißtrauen erregen mußte.
2 Die Franzosen fröhnen in bezug auf den 70er Krieg genau derselben
törichten Betrachtungsweise. — (Eine eingehendere Untersuchung wird natürlich
die unglaubliche Ungeschicklichkeit, mit der die auf den Krieg gar nicht vorbe¬
reitete Regierung Napoleons III. mit dem Feuer spielte, gehörig hervorheben,
kann aber auch Sophistereien wie die, mit der hohenzollernkandidatur habe die
preußische Regierung gar nichts zu tun gehabt, sondern nur die königliche Fa¬
milie, angesichts der offenkundigen Tatsachen, die das Gegenteil bezeugen, un¬
möglich aufrecht erhalten.
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