Object: Deutsches Lesebuch für die oberen Klassen höherer Schulen

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Friedrich von Schiller. (1795—1805.) 
Noch dauern wird's in späten Tagen 
Und rühren vieler Menschen Ohr, 
35 Und wird mit dem Betrübten klagen 
Und stimmen zu der Andacht Chor. 
Was unten tief dem Erdensohne 
Das wechselnde Verhängnis bringt. 
Das schlägt an die metallne Krone, 
40 Die es erbaulich weiter klingt. 
Weiße Blasen seh' ich springen; 
Wohl! die Massen sind im Fluß. 
Laßt's mit Aschensalz durchdringen, 
Das befördert schnell den Guß. 
45 Auch von Schaume rein 
Muß die Mischung sein, 
Daß vom reinlichen Metalle 
Rein und voll die Stimme schalle. 
Denn mit der Freude Feierklange 
50 Begrüßt sie das geliebte Kind 
Auf seines Lebens erstem Gange, 
Den es in Schlafes Arm beginnt; 
Ihm ruhen noch im Zeitenschoße 
Die schwarzen und die heitern Lose; 
55 Der Mutterliebe zarte Sorgen 
Bewachen seinen goldnen Morgen. — 
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind. 
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe, 
Er stürmt ins Leben wild hinaus, 
60 Durchmißt die Welt am Wanderstabe, 
Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus. 
Und herrlich, in der Jugend Prangen, 
Wie ein Gebild aus Himmelshöh'n, 
Mit züchtigen, verschämten Wangen 
65 Sieht er die Jungfrau vor sich stehn. 
Da faßt ein namenloses Sehnen 
Des Jünglings Herz, er irrt allein, 
Aus seinen Augen brechen Thränen, 
Er flieht der Brüder wilden Reih'n. 
io Errötend folgt er ihren Spuren 
Und ist von ihrem Gruß beglückt, 
Das Schönste sucht er auf den Fluren, 
Womit er seine Liebe schmückt. 
O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen! 
75 Der ersten Liebe gold'ne Zeit! 
Das Auge sieht den Himmel offen, 
Es schwelgt das Herz in Seligkeit; 
O! daß sie ewig grünen bliebe, 
Die schöne Zeit der jungen Liebe! 
80 Wie sich schon die Pfeifen fl bräunen! 
Dieses Stäbchen tauch' ich ein, 
Sehn wir's überglast erscheinen, 
Wird's zum Gusse zeitig sein. 
Jetzt, Gesellen, frisch! 
85 Prüft mir das Gemisch, 
Ob das Spröde mit dem Weichen fl 
Sich vereint zum guten Zeichen. 
Denn wo das Strenge mit dem Zarten, 
Wo Starkes sich und Mildes paarten, 
90 Da giebt es einen guten Klang. 
Drum prüfe, wer sich ewig bindet, 
Ob sich das Herz zum Herzen findet! 
Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang. 
Lieblich in der Bräute Locken 
95 Spielt der jungfräuliche Kranz, 
Wenn die hellen Kirchenglocken 
Laden zu des Festes Glanz. 
Ach! des Lebens schönste Feier 
Endigt auch den Lebens-Mai. 
wo Mit dem Gürtel, mit dem Schleier 
Reißt der schöne Wahn entzwei. 
Die Leidenschaft flieht, 
Die Liebe muß bleiben; 
Die Blume verblüht, 
105 Die Frucht muß treiben. 
Der Mann muß hinaus 
Ins feindliche Leben, 
Muß wirken und streben 
Und pflanzen und schaffen, 
iio Erlisten, erraffen, 
Muß wetten und wagen, 
Das Glück zu erjagen. 
Da strömet herbei die unendliche Gabe, 
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher 
Habe, 
ii5 Die Räume wachsen, es dehnt sich das 
Haus. 
Und drinnen waltet 
Die züchtige Hausfrau, 
Die Mutter der Kinder, 
Und herrschet weise 
120 Im häuslichen Kreise, 
Und lehret die Mädchen, 
Und wehret den Knaben, 
Und reget ohn' Ende 
Die fleißigen Hände, 
125 Und mehrt den Gewinn 
Mit ordnendem Sinn, 
Und füllet mit Schätzen die duftenden 
Laden, 
Und dreht um die schnurrende Spindel 
den Faden, 
Und sammelt im reinlich geglätteten 
Schrein 
130 Die schimmerndeWolle, den schneeigten 
Lein, 
Und füget zum Guten den Glanz und 
den Schimmer, 
Und ruhet nimmer. 
Und der Vater mit frohem Blick 
Von desHauses weitschauendem Giebel 
135 Überzählet sein blühend Glück, 
Siehet der Pfosten ragende Bäume 
Und der Scheunen gefüllte Räume 
1) Zuglöcher an dem das Metall enthaltenden Teile des Ofens. 
2) Kupfer und Zinn.
	        
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