Full text: Deutsche Lyrik des 19. Jahrhunderts

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Annette Freiin von Droste-Hülshoff. 
Nie schien er sich so hager, 
Nie fühlt' er sich so alt, 
Als seit er heut begraben 
Den langen Moritz Raben, 
Den Förster dort vom Wald, 
Am gleichen Tag geboren, 
Getauft am gleichen Tag! 
Das ist ein seltsam Wesen 
Und läßt uns deutlich lesen, 
Was wohl die Zeit vermag! 
Der Nacht geheimes Funkeln, 
Und daß sich eben muß, 
Wie Mondesstrahlen steigen, 
Der frische Hügel zeigen, 
Das Kreuz an seinem Fuß: 
Das macht ihn ganz beklommen, 
Den sehr betagten Mann, 
Er sieht den Flieder schwanken, 
Und längs des Hügels wanken 
Die Schatten ab und an. 
Wie oft sprach nicht der Tote 
Nach seiner Weise kühn: 
„Herr Pfarr', wir alten Knaben, 
Wir müssen sachte traben, 
Die Kirchhossblumen blühn." 
„So mögen sie denn blühen!" 
Spricht sanft der fromme Mann; 
Er hat sich aufgerichtet, 
Sein Auge, mild umlichtet, 
Schaut fest den Äther an. 
„Hast du gesandt ein Zeichen 
Durch meinen eignen Mund 
Und willst mich gnädig mahnen 
An unser aller Ahnen 
Uralten ew'gen Bund;
	        
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