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5, Tankt Augustirr.
Es ging einmal Tankt Augustin
Am Meergestade her und hin;
Das Wesen Gottes, unsers Herrn,
Wollt' er erforschen gar zu gern
Und es dann bringen in ein Buch.
Er kannte jeden Bibelspruch,
Drum schien die Sach' ihm gar nicht schwer.
So wallt er sinnend hin und her
Und meint wobl schon im eitlen Wahn,
Ihm sei der Himmel aufgethan.
Auf einmal wird sein Aug' gewahr
Ein Knäblein schön und wunderbar:
Es macht ein Grüblein in den Sand
Und bückt sich dann hinab am Strand
Und schöpft vom Meer das Wasser drein
Mit einer Muschel, weiß und fein.
„Du lieber Knab', was machst du da?"
Fragt Augustin. — „„Du siehst es ja;
Zum Zeitvertreibe fass' ich mir
Die See in dieses Grüblein hier.""
Der Heil'ge lächelt: „Dieses Spiel,
Mein Kind, es bringt dich nicht zum Ziel."
„„Ei,"" sagt der Knab', ,,„wer das nicht
kann,
Der bleibe hübsch auf seiner Bahn.
Viel ist dem Herzen offenbar,
Doch wird es dem Verstand nicht klar.""
Und flugs, da schießt ein Flügelpaar
Dem Knaben an; und, wie der Aar,
Schwebt er empor im Sonnenlicht.
Der Heil'ge schaut ihm nach und spricht:
„Der Knab' hat Recht; des Menschen Sinn
Kann über Zeit und Raum nicht hin.
Wer wandelt fromm und ohne Trug,
Der weiß vom lieben Gott genug."
Uloys Schreiker.
6. Elisabeths Rosen.
^Kennt ihr das herrliche Weib, vom Schwarm
Der Bettler umringt, mit dem Körbchen am
Arm?
Elisabeth ist es; von Wartburgs Höhn
Kommt sie, den Dürftigen beizustehn.
Die Edelknaben und Höflinge sahn
Tie Spende mit scheelen Augen an,
Und dos landgräsliche Küchenamt
War in Geheim darüber entflammt.
Man raunt es hämisch dem Fürsten ins
Ohr,
Und stellte die Sache so wicbtig vor,
Und so gehässig, als ob dabei
Das Beste des Landes gefährdet sei.
Und Ludwig verbeut mit hartem Sinn
Solch Mitleid der sanften Helferin,
Und ruft im Zorn: „Es ziemt sich nicht,
Daß eine Fürstin mit Bettlern spricht!"
Sie unterwirft sich dem strengen Gemahl
So lange, bis laut die Bettler im Thal
Zum Felsen herauf um Hilfe schrein;
Da kann sie nicht länger gehorsam sein.
Sie winket verstohlen den Kammerfraun,
Nach einigen Schüsseln sich umzuschaun,
Füllt schnell ihr Körbchen vom festlichen
Schmaus,
Und stiehlt sich leise zum Pförtcheu hinaus.
Das ward von jener genäschigen Schaar
Der Edelknaben einer gewahr,
Läuse schadenfroh zum Gebieter hin
Und verräth die fürstliche Gebieterin.
Wie Ludwig nun auf die Brücke trat,
Den Hut verschob, sich räuspert' und that,
Als schau' er behaglich das Thal entlang,
Da wurde der armen Elisabeth bang.
Sie hört des Gemahles klirrenden Sporn,
Sein Auge flammet vom wilden Zorn,
Sie weiß vor Angst nicht, wie ihr geschehn,
Und bebt und vermag nicht weiter zu gehn.
Und wie sie unter die Schürze gewandt
Das Körbchen verbirgt mit zitternder Hand,
Hat sie der Landgraf eben entdeckt
Und ruft voll Wuth: „Was hast du versteckt?
Bekenne mir, Weib, gewiß ist es Brod
Für Bettler, die ich zu füttern verbot?"
Sie senkte das Antlitz erröthend und sprach:
„,,'s sind Rosen, die ich im Burgzwinger
brach!""