Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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mente noch nicht geschlichtet und ihre Ausbildung noch nicht vollendet war. und 
andere Thiergeschlechter, als die gegenwärtigen, sie bewohnten, haben sich in den 
Sagen der alten Völker, von länderbedeckenden Ueberschwemmungen und von Un¬ 
geheuern der Erde und des Meeres erhalten; und eben darauf führen uns die 
versteinerten Glieder und die erstarrten Gestalten unbekannter Thiere, welche in den 
Gipfeln der höchsten Berge und in den unbewegten Flächen des Eismeeres gefunden 
werden. Auf gleiche Weise geht aus der Bevölkerungsgeschichte unserer Erde die 
Folgerung hervor, daß sie einst eine andere Gestalt gehabt habe und nicht von 
Menschen bewohnt gewesen sei. Allmählich ward sie von Asien aus bevölkert, und 
Jahrtausende scheinen vergangen zu sein, ehe die aus dem Mutterlande unsers 
Geschlechtes ausgewanderten Stämme über die wüsten, von Thieren nur bewohnten, 
Flächen der übrigen Welttheile sich ausbreiteten. Diese allmälige Bevölkerung der 
Erde nun leitet uns, indem wir alle Völker auf Ein Volk, dieses Volk auf Eine 
Familie, und diese Familie auf Einen Mann und Ein Weib zurückführen, zu 
einem Anfange des Menschengeschlechts, und von diesem zu einer Zeit zurück, wo 
die unter dem Kampfe der Elemente sich bildende Erde noch nicht der Wohnplatz 
unsers Geschlechts war. Ja, es hat eine Zeit gegeben, wo es anders war auf 
unserm Planeten, und er Wesen unsers Geschlechts nicht tragen und nähren 
konnte; und einst wird wieder eine Zeit kommen, wo er aufhört, der Wohnplatz 
unsers Geschlechts zu sein, und er entweder seine Gestalt verändert oder aus der 
Reihe der Sterne verschwindet. Wie und durch welche Kräfte diese Veränderung 
erfolgen werde, wissen wir zwar nicht, aber mehr als eine Möglichkeit ist uns 
gedenkbar. In den Gründen der Erde brennt ein Feuer, das Berge emporhebt 
und Steine und brennende Fluthen zerschmilzt, und erschrocken hören oft die Völker 
den unterirdischen Donner, der die Länder erschüttert, daß Felsen wanken und Städte 
zusammenstürzen; die Hälfte ihrer Fläche bedecken wogende Meere, welche, wie sie 
vormals sich senkten, daß die große Insel heraufstieg, so einst wieder sich heben 
und hereinbrechen können über ihre Gestade. Neben unserm Planeten wandeln 
andere zahllose Himmelskörper im unendlichen Raume, und mehrere von ihnen 
drücken auf seine Bahn; die Sonne kann ihn an sich ziehen, daß er untergeht in 
ihrem Feuermeere; der Mond kann in seine Atmosphäre sich herabsenken, daß alle 
seine Meere aus ihren Ufern treten und unendliche Fluthen ihn bedecken; ein Wan¬ 
delstern kaun ihm feindlich begegnen, daß er nach fruchtlosem Streite dem stärkeren 
Feinde weichen und seine Bahn verlassen muß. In ihrem Schooße trägt die Erde 
zerstörende Kräfte, und um und neben ihr schweben Körper, die ihr den Unter¬ 
gang drohen. Darum wirst du nicht ewig bestehen, du Wiege unsers Geschlechtes, 
du Land des Segens und des Fluchs, du Grab voll Freude und Leben, du Pa¬ 
radies voll Schmerz und Tod, du alter tausendjähriger Schauplatz unserer Weis¬ 
heit und Thorheit, unserer Tugenden und Laster; nein, ewig kannst du nicht dauern; 
wie Alles, was du trägst, so mußt du auch selbst deinem Gesetze, dem Gesetze der 
Wandelung und Zerstörung, gehorchen! Vielleicht, daß du Jahrtausende noch in 
fröhlicher Kraft auf deiner Bahn wandelst, begleitet von deinem Monde und geführt 
von der leuchtenden Sonne! Vielleicht, daß du noch Jahrtausende lang Tage und 
Nächte, Sommer und Winter nach unveränderter Regel wechseln und die Geschlechter 
der Menschen kommen und gehen siehst! Vielleicht auch, daß der Tag des Herrn 
näher ist, als wir meinen. Wir können nicht hineinschauen in das geheimnißvolle 
Dunkel deines Lebens und Waltens, wir können deine Lebenskraft nicht messen, 
noch deine Jahre zählen. Aber endlich bist du und vergänglich, das wissen wir, 
wie deine Kinder endlich sind und vergänglich; denn das Erschaffene ist nicht ewig 
und unvergänglich, wie der Schöpfer ewig ist und wandellos; auch dir ist ein Ziel
	        
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