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gesetzt, auch dein langer Tag wird einst sich neigen. Der dich bildete, wird duck
verwandeln; der dich schuf, wird dich zerstören; auch deine Kraft wird veralten,
auch dein Bau wird zerfallen, auch dein Gesetz und deine Ordnung wird unter¬
gehen; wir warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde.
Hzschirner.
4. Der Schlaf ist ein lehrreiches Bild unserer Schwächt und
Abhängigkeit.
Eine Naturerscheinung ist der Schlaf, der wir und alle Lebendigen uns un¬
terwerfen müssen, die der Thor und der Weise, der Monarch und der Bettler mit
einander gemein haben, die in gewisser Hinsicht uns so tief demüthigt, in anderen
Beziehungen aber wieder so ermunternd und erhebend ist, in allem Betrachte aber
höchst nützlich und lehrreich für uns werden kann und soll. Der Schlaf ist ein
lehrreiches Bild unserer Schwäche und Abhängigkeit
Bild unserer Schwäche, ja wohl! Denn der Müde versuche es doch, ihn
zu verbannen; auf einige Stunden wohl, vielleicht auf mehrere Tage und Nächte
wird er es können, wenn es sein muß; — am Ende erliegt er. Was er auch
beginne, über die nothwendige Einrichtung seiner sinnlichen Natur vermag er nicht
zu gebieten. Wie er nicht bewirken kann, daß der Kreislauf des Blutes in seinen
Adern die entgegengesetzte Richtung nehme, das Alter ihn nicht beuge, der Tod
ihn nicht endlich hinwegrufe; so kann er es auch nicht dahin bringen, daß jenes
Bedürfniß der Natur ihn nicht überwältige. Hier ist er nicht frei. Die ungetreuen
Kräfte versagen ihm den Dienst; seine Ohnmacht verspottet den kühnen Vorsatz;
er ist zuletzt, selbst über dem Bestreben, es nicht zu wollen, eingeschlafen.
Und wie schwach ist er nun vollends im Zustande des Schlafes! Das laute,
lebendige Spiel seiner Kräfte hat aufgehört. Vergessen sind die Entwürfe des
Tages. Die gewohnte Arbeit feiert. Keine Spur von dem, was er vermag,
verräth sein Aeußeres. Hier ist der Geistvolle wie der Einfältige, der Thätige
wie der Träge. Wer sieht es dieser Hülle an, daß dieser Mund so sinnreiche
Gedanken aussprach, oder so reizende Töne sang; daß diese Hand so künstliche
Formen schuf, oder so nützliche Arbeiten fertigte; daß diese Glieder, von einer
verborgenen Gewalt beseelt, so mächtig, so wunderbar sich regen und wirken konnten?
Klein und sich selbst unähnlich ist der Mensch, wenn er schlummert. Wie groß
und majestätisch er wachend sei, hier ist alle Größe verschwunden. Welche Be¬
wunderung er da erhalte, hier ist er geworden wie der Geringsten Einer. Wie
furchtbar und allgefürchtet er da hervortrat, hier ist er ungefährlich und wehrlos.
Der Verfolgte mag hier sich ihm nähern und ungestraft ihn verspotten. Die
Feigheit kann hintreten an sein Lager und ihn für immer entwaffnen. O wahr¬
lich, wer das Bild der Schwäche darstellen will, der zeichne den Schlaf.
Nur du wirkst allein unaufhörlich, du wirktest bisher und wirkst in Ewigkeit,
Schöpfer des unermeßlichen Alls, erhabenstes Wesen, vor dem wir im Staube
uns demüthigen! Ach, daß wir mit heiliger Scheu deine Größe empfinden und
mit Freuden ihr zujauchzen; daß wir deiner allwirksamen Macht und deiner nie
ermüdenden Vatersorgfalt uns voll Zuversicht anvertrauen; daß wir unsere Ab¬
hängigkeit von dir in kindlicher Unterwerfung erkennen möchten, um dir zu gefallen!
Wie werden wir doch durch jeden Schlaf so besonders lebhaft an diese Ab¬
hängigkeit erinnert! Seine Sinne sind für die Außenwelt geschlossen, und damit
hört seine Sorge und Wirksamkeit auf. Ihm droht Gefahr; er kann sie nicht
abwenden. An seinem Eigenthume vergreift sich eine diebische Hand: er kann es