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und die gangbarsten Waaren mußten von den Holländern zu außerordentlich hohen
Preisen aus der zweiten Hand erkauft werden.
Hermann Gruit, der Besitzer der Handlung, saß mit dem alten Jansen,
einem erfahrenen Diener des Hauses, ums Jahr 1638 in der Schreibstube und
verglich mit ihm die großen Bücher. „So thut es nicht länger gut!" sagte dieser
endlich, „wir müssen es anders anfangen. Ueberlaßt mir auf ein Jahr das Schiff
und so viel Geld und Nürnberger Waaren, als möglich, und laßt mich damit
selbst in die neue Welt (Amerika) segeln. Ihr wißt, ich bin in jüngeren Jahren
schon zweimal dort gewesen und verstehe das Geschäft; mit Gott wird es mir
gelingen."
Die beiden Männer berathschlagten mit einander über diesen Einfall, und
nachdem sie die mögliche Gefahr und den möglichen Vortheil auf das Beste erwogen
hatten, kamen sie dahin überein, daß Jansen reisen solle. Vier Wochen später
schritt Herr van Steen in seinem Rathsherrngewande, den alten Buchhalter neben
sich, dem Hafen zu, wo eine große Menschenmenge der Abfahrt des stattlichen
Schiffes harrte. Einige Handelsfreunde traten grüßend auf sie zu, und äußerten
bedenklich, sie wünschten, Herr Hermann möge bei dieser Ausrüstung nicht zu viel
gewagt haben. Aber Jansen antwortete: „Lasset es euch nicht anfechten, ihr
Herren; ich hoffe fest, wir sehen uns gesund und freudig wieder, denn ich traue
auf das gute Sprichwort: Gott verläßt keinen Deutschen."
Da donnerte der erste Signalschuß zur Abfahrt, und das Boot, welches den
alten Jansen zum Schiffe führen sollte, hatte eben gelandet. Noch einmal drückte
er seinem Herrn die Hände, dann stieg er schnell ein, und schiffte hinüber. Jetzt
wurde der große Anker aufgewunden, der letzte Kanonenschuß gelöset, alle Wimpel
flaggten, und mit vollen Segeln flog das Schiff dahin, dem Meere entgegen.
Drei Vierteljahre gingen vorüber, und kein Jansen kehrte zurück oder ließ
auch nur etwas von sich hören; wohl aber verbreiteten sich dunkle Gerüchte von
deutschen Hanlelsschiffen, die in der Gegend von Neu-Amsterdam gescheitert seien.
Die Miene des Herrn Hermann Gruit ward immer bedenklicher. Einen großen
Verlust nach dem andern erlitt er durch den Fall mehrerer Handlungshäuser zu
Braunschweig, Nürnberg, Augsburg und Ulm, und täglich noch trafen neue Un¬
glücksbriefe ein. Am Jahresschlüsse verglich er seine Bücher — und siehe da,
was er gefürchtet hatte, erwies sich als Wahrheit; die Schulden überstiegen sein
Vermögen. Da legte er langsam die Feder weg, klappte leise das Buch zu, und
ging, schwer seufzend, aus der Schreibstube hinauf in das Familienzimmer. Dort
kleidete er sich in seine volle Amtstracht als Rathsherr, küßte seine Frau und seine
drei Knaben und ging mit der Aeußerung, daß heute Sitzung sei, hinunter. Die
grüne Gasse entlang schritt er dem Rathhause zu; ein Diener trug ihm das schwere
Hauptbuch nach. Im Rathhause legte er vor den erstaunten Amtsgefährten die
Ehrenzeichen seiner Würde ab und erklärte seine Zahlungsunfähigkeit.
Man kann denken, wie groß das Staunen Aller war, daß das große Haus
Gruit van Steen zu zahlen aufhören müsse. Indeß überzeugten sie sich aus der
genauen Anficht der Bücher, daß Herr Hermann an seinem Unglücke nicht Schuld
sei, und beschlossen, ihm noch eine halbjährige Frist zu gestatten, als die äußerste
Zeit, in welcher man Jansen noch zurückerwarten könne, wenn das Schiff nicht
verunglückt wäre.i
Aber das halbe Jahr verfloß; es vergingen zwei Monate darüber — und
Jansen war nicht gekommen. Herrn Hermanns Umstände aber halten sich noch
verschlimmert.
Da drangen die schon durch die bewilligte Frist erbitterten Gläubiger so