Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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stein auf die Jagd, nicht allein, sondern immer mit einem wilden Haufen von 
Jägern und Hunden, Junkern und Edelsrauen, die den Jagdspieß geschickter führten, 
als die Nadel, und die Reitpeitsche lieber, als die Spinvel. 
Dann war eine böse Haushaltung in dem Schlosse. Der Kellermeister fluchte 
zwischen den Fäffern, der Koch in der Küche, der Wildmeister unter den Rüden, 
der Freiherr am Spieltische, wenn kein Jagdwetter war, und seine Frau unter den 
Kammermägden. Auf dem Dache knarrten die Windfahnen, auf den Stiegen 
sangen die Katzen, in den Gängen dröhnte der Zugwind, die Hunde heulten im 
Hofe, und die Thüren wurden fort und fort zugeschlagen, daß es lautete, wie 
ein Heckenfeuer vor der Schlacht. Auf der hohen Rüster neben dem Schlosse hatten 
zwei Elstern ihr Haushalten. Der Freiherr und seine Gesellen zechten bis Mitter¬ 
nacht, die Leibjäger, wenn sie ihre Herren zu Bette geführt hatten, noch ein paar 
Stunden länger. Waren sie dann endlich, wenn der Tag graute, zur Ruhe gegangen, 
so schliefen sie, bis das Waldhorn sie wieder weckte. Ein Sonntag aber stand in 
dem Kalender des Freiherrn nicht; das Waidhaus hatte auch keine Kapelle, wie 
andere christliche Schlösser, keinen Altar und kein Meßbuch, und der Kaplan, den 
der Herr von Haldenstein jedesmal in seinem großen Gefolge hatte, hielt da seine 
Ferien und nahm Theil an dem wilden Vergnügen. 
In der Hütte am See war es anders. Wann im Winter das Feuer auf 
dem Herde und im Sommer das Feuer an dem Abendhimmel erloschen war, hörte 
man unter dem Strohdache nichts mehr, als ein Abendliev, ein Gebet, und dann 
das leichte, ruhige Athmen des Fischers und seines Sohnes im Schlafe. Zum 
MorgeUliede meckerten die Geißen hinten im Stalle um ihr Futter, und den ganzen 
Tag über wurden der Alte und sein Knabe nicht lauter, als die Wellen im See, 
welche an die Seiten des Nachens schlugen, weil sie nichts Besseres zu thun hatten. 
Auf das Schloß ging der Fischer nicht gern; denn er war einer von den 
„Böhmischen Brüdern," ein frommer, gottesfürchtiger Mann, und die Flüche und 
Narrentheidinge, welche er im Waidhause hören mußte, waren ihm von ganzer 
Seele zuwider. Es däuchte ihm zuweilen, als höre er durch den abscheulichen Lärm 
hindurch die Töne der Hölle, die sich ihrer Opfer freute und sie jubelnd dahin 
führte. Seinen Knaben, der ihm immer die Fische im Lägel den Schloßberg 
hinauf tragen half, nahm er nie in das Waidhaus mit hinein, sondern ließ ihn 
draußen am Hofthore warten, bis er die Karpfen und Forellen dem Koche vor¬ 
gewogen und dafür das Seine empfangen hatte. „Mein Kopf und mein Herz/' 
dachte der fromme Mann, „tanzen nicht mehr nach dieser Musik; aber der Fuß 
meines Toni stehet noch nicht so fest." 
Aber einmal — es war am heiligen Christabende — rief die gnädige Frau 
den Jungen, der, mit den Händen unter dem Hosenträger, am Hofthore lehnte 
und pfiff, zu sich in ihr Zimmer, legte ein schweres böhmisches Goldstück in seine 
Hand und sprach zu ihm: „Toni, geh eilends hinunter nach Zwiesel zum Italiener 
und kaufe sechs Pfund Wachskerzen; denn es ist heute bei uns Bankett und Tan; 
und den Küchenjungen hat der Sultan gebissen." 
Und der Knabe beurlaubte sich bei seinem Vater und lief hinab in den 
Flecken. Es hatte in diesem Jahre noch nicht geschneit. Die Vögel trieben in 
den Erlen- und Weidenbüschen ihre lustigen Gaukeleien und die Felsen sonnten 
sich an der Sommerseite des Thales. Auch bei dem Krämer in Zwiesel war heiteres 
Wetter. Er gab mit großer Freundlichkeit dem Knaben zu den langen weißen 
Kerzen noch drei kleinere, bunte darein, und sagte: „Toni, die zündest du heute 
Abend dem Christkindlein an, und diesen Pfefferkuchen im Fließpapier theilst du 
Lebensbilder IV. ■>
	        
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