Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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Es giebt nur zwei Ursachen, welche die Temperatur der Erde als ein Ganzes 
verändern, eine abkühlende und eine erwärmende. Die abkühlende Ursache ist die 
Wärmeausstrahlung in den Weltenraum, die ihr entgegenwirkende ist die Sonne, 
deren Strahlen unausgesetzt der Erde Wärme zuführen. Ob die Erdoberfläche 
im Ganzen wärmer oder kälter werde, hängt daher davon ab, ob sie mehr Wärme 
an den Weltenraum abgiebt oder mehr von der Sonne empfängt. Es ist nun 
nachgewiesen, daß seit der Zeit, aus welcher astronomische Beobachtungen bekannt 
sind, sich die Temperatur der ganzen Erdoberfläche nicht geändert hat, daß also die 
Erde sich in dem Wärmezustand befindet, in welchem Verlust und Gewinn sich 
gerade aufheben. Ob das immer so gewesen ist, oder so bleiben wird, ist eine 
andere Frage. Ziemlich gewiß ist, daß früher die Temperatur der Oberfläche 
höher war, ja daß sich die ganze Erde einst in einem durch Wärme flüssigen Zu¬ 
stande befunden hat. 
Gehen wir nun aber von der Betrachtung der Erde als Ganzes zu der der 
einzelnen Zeiten und Orte auf ihr über, so sehen wir leicht, wie die beiden ge¬ 
nannten Grundursachen unter verschiedenen Umständen verschieden wirken und bald 
die eine, bald die andre die Oberhand gewinnen muß. — Gegenden, die lange 
der Sonne entbehren, wie die Pole, verlieren viel Wärme und erkalten umso 
mehr, je Heller der Himmel ist, die Wolken umgeben die Erde wie ein Mantel 
und schützen die Erdoberfläche mehr oder weniger vor dem Wärmeausstrahlen und 
Abkühlen. Orte, die die Sonne befcheint, erwärmen sich um so mehr, je länger 
dieser Zustand dauert und je höher die Sonne steigt. Darin beruhen also die 
verschiedenen Temperaturen bei Tag und Nacht, im Sommer und Winter, unter 
dem Aequator und an den Polen. Sinkt die Sonne unter unsern Horizont, so 
erhalten wir keine Wärme mehr von ihr, wir gewinnen nichts und verlieren nur, 
was nothwendig eine Abkühlung nach sich zieht. Diese dauert bis zum nächsten 
Sonnenaufgange, und diese Zeit ist darum in der Regel, und wenn nicht andere 
wechselnde Umstände zuweilen eine Aenderung bewirken, die kälteste des Tages. 
Sobald nun die Sonnenstrahlen wieder wirken, erhöht sich die Temperatur, und 
da zu Mittage ihre Wirkung am größten wird, so nimmt auch die Erwärmung 
zu, ja sie reicht noch über den Mittag hinaus, weil in den ersten Stunden darauf 
immer noch der Gewinn größer ist, als der Verlust. Weiterhin übertrifft der 
Verlust den Gewinn, es beginnt wieder die Abkühlung und dauert bis Sonnen¬ 
aufgang. Aehnlich geht es im Laufe des ganzen Jahres. Im Herbst ist die 
Erde warm, sie verliert also viel Wärme und die Sonne vermag nicht allen Verlust 
zu ersetzen, sie wird darum immer kälter und kälter fast durch den ganzen Winter 
hindurch. Die größte Kälte fällt nicht in die kürzesten Tage, denn auch nachher, 
obgleich der Gewinn täglich etwas mehr wächst, bleibt immer noch der Verlust 
größer, als dieser und die Abkühlung schreitet vor, bis endlich gegen Ende Januar 
sich beide ausgleichen. Dann nimmt bis Ende Juli oder Anfang August die Er¬ 
wärmung wieder zu. Es versteht sich von selbst, daß andere Ursachen diesen regel¬ 
mäßigen Gang mannigfach abändern. 
Die zweite Hauptursache der Wetterveränderungen sind die Winde, die selbst 
zu dem, was man Wetter nennt, gehören. Alle Bewegungen der Luft, sowohl die 
in horizontaler Richtung wehenden eigentlichen Winde, als auch die auf- und 
absteigenden Luftströmungen haben ihre Ursache in der örtlich oder zeitlich ver¬ 
schiedenen Temperatur der Luft. Hätte diese immer und überall dieselbe Wärme, 
so würde sie auch immer und überall ruhend sein, etwa kleine lokale Bewegungen 
abgerechnet. Die Atmosphäre würde sich gerade so verhalten, wie die Luft in 
einem eingeschlossenen Raume. Aber eben so wie diese letztere sogleich in Be¬
	        
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