Full text: Geschichte des Altertums (Teil 1)

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s— 
denten in den Hörsaal herein und riefen laut: „Ihr Vater ist da!“ 
Sofort standen alle Zuhörer auf. Stilling verstummte und ging, 
vom ganzen Kollegium begleitet, die Treppe hinab. 
Da stand vor der Thür sein alter Vater, den er lange nicht ge— 
sehen hatte, krumm gebückt vor Alter; in seinem ehrwürdigen Angesichte 
hatten die Zeit und mancherlei Trübsale viele und tiefe Furchen ge— 
graben. Schüchtern blickte er seinem kommenden Sohne ins Angesicht. 
Mit der innigsten Bewegung seines Herzens ging dieser ihm entgegen, 
und alles lächelte mit hoher, teilnehmender Freude. Erst starrten sie 
sich einige Augenblicke an, dann fielen sie in eine mit Weinen und 
Schluchzen vermischte stille Umarmung. Nach dieser standen sie wieder 
und sahen sich an. 
„Vater, Ihr habt seit 13 Jahren sehr gealtert!“ — „Das haben 
Sie auch, mein Sohn.“ — „Saͤget nicht Sie, ehrwürdiger Mann, 
sondern Du! Ich bin Euer Sohn und stolz darauf, es zu sein. Euer 
Gebot und Eure Erziehung haben mich zu dem Manne gemacht, der 
ich nun geworden bin; ohne Euch wäre ich es nicht.“ — „Laß das! 
Gott hafs gethan! Er sei gelobt!“ — „Mich dünkt, ich stünde vor 
meinem Großvater. Ihr seid ihm sehr ähnlich geworden, teurer 
Vater!“ — „Ähnlich nach Leib und Seele; ich fühle die innere Ruhe, 
die auch er hatte, und wie er handelte, so suchte ich auch zu handeln.“ 
— „Gött, wie hart und steif sind Eure Hände! Wird's Euch denn 
so sauer?“ — Vater Stilling lächelte und sprach: „Ich bin ein Bauer 
und zu harter Arbeit geboren, das ist mein Beruf so, laß dich das 
nicht kümmern, mein Sohn! Es wird mir schwer, mein Brot zu ge— 
winnen, aber ich habe keinen Mangel.“ 
Darauf trat er zu seiner unterdes angekommenen Schwiegertochter 
n seinem Enkelchen und sprach: „Der Allmächtige segne dich, mein 
ohn!“ — 
Stilling hielt sich einige Tage bei seinem Sohne auf und 
sagte mehrmals: „Diese Zeit ist mir ein Vorgeschmack des Himmels.“ 
Jung⸗Stilling. 
20. Flammende Sprüche. 
Vor einem grauen Haupte sollst du aufstehen und die Alten 
ehren. (3. Mos. 19, 32). — Des Vaters Segen baut den Kindern 
Häuser, aber der Mutter Fluch reißet sie nieder. (Sirach 3. 11). — 
Ein Auge, das den Vater verspottet und verachtet der Mutter zu 
gehorchen, das müssen die Raben am Bache aushacken und die jungen 
Ädler fressen. (Spr. Sal. 13, 17). — Mit dem Maße, da ihr messet, 
wird man euch wieder messen. (Matth. 7, 2). — Irret euch nicht, 
Gott läßt sich nicht spotten; denn was der Mensch säet, das wird er 
ernten. (GGal. 6, 7). Bibel. 
Erinnere dich an: Der Großvater und der Enkel von Grimm Mittelst. 
91), Kindesundank von K. Stöber (Mittelst. 192), Rittmeister Kurzhagen von 
Pustkuchen Glan-ow Oberst. 190), Das Schlangenhalsband von Seidl GOberst. 231).
	        
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