Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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feinen Wogen spiegeln, und ebenso alte, untrügliche Zeugen geben sie ab für die 
Umgestaltungen des Bodens, die sein Wellenschlag in ihrer Nähe verursacht hat.— 
Schon der Lauf des Stromes selbst ist einer der merkwürdigsten; denn es giebt 
keinen zweiten Fluß von solcher Größe, der in seinem Unterlaufe so wenig Neben¬ 
flüsse besitzt, so lange und unaufhörlich in einem engen Gebirgsthale bleibt und 
während dieses Laufes von mehr als 250 geographischen Meilen keinen Zuwachs 
durch benachbarte Stromgebiete erhält. Nachdem beide Nilarme, der blaue (süd¬ 
östliche) und der weiße (südliche) bei Khartum sich vereinigt haben, bekommt der 
nunmehr vollständige Strom nur noch einen Zufluß bei Dameo durch den Tacazze 
oder Atbara, welcher mit ihm die Hochebene des alten Meroö umfaßt, tritt dann 
in das enge, 8-förmige Felsenthal Nubiens, stürzt sich in demselben zehnmal 
terrassenförmig über sein Bett durchkreuzende Felsenwände, und erreicht bei Syene 
gleich hinter dem zehnten Katarakt das ähnlich gebaute, aber weniger gekrümmte 
Thal Aegyptens. Bis dahin begleitet ihn Granit unmittelbar, der stellenweis 
seine User berührt, aber von Syene an umgiebt den Strom bis zu einer Höhe 
von 117—160 Meter ein Sandsteinplateau, dessen westliche oder libvsche Kette 
sanfter geneigt ist und an der abwärts gewendeten Seite allmählich in die Sand¬ 
felder der Sahara übergeht. Die östliche oder arabische Kette, jetzt Gebel Mo- 
kattam genannt, wird größtentheils von höheren Granitketten überragt, umschließt 
mehrere sie in schiefer Richtung durchsetzende Querthäler, als alte Verbindungen 
des Nilthales mit dem rothen Meere, und fällt überall steiler gegen das Strom¬ 
bett ab, daher sich der Fluß meistens dichter an den Ostabhang seines Thales 
hinandrängt. Zweimal, bei Selseleh und Gebeleyn, treten die Sandsteinmassen 
so dicht an den Strom, daß nur eben für ihn Platz bleibt, dann erweitert sich das 
Thal bis auf zwei Stunden und endet oberhalb Kairo, wo die libysche Kette sich 
in der Richtung von Nordwest zur Küste wendet, die arabische aber fast recht¬ 
winklig ostwärts znm rothen Meere. Beide umschließen einen Winkel von 140 Grad, 
in dem der Strom sich ausbreiten und dessen Boden er mit mehrfachen Armen 
durchfurchen kann; beide sind gegen diese Ebene terrassenartig abgesetzt und noch 
kurz vor ihrem Abfalle von engen Querthälern durchzogen, in denen Gerölle und 
andere Spuren einen früheren Wasserstand unzweifelhaft nachweisen. Das östliche 
Thal ist das Thal der Verirrungen, das westliche besteht aus zwei Parallel- 
thälern, von welchen das innere den Namen Strom ohne Wasser führt, das 
äußere die Kette der Natronseen enthält, aus welchen die alten Aegyptier ihr Haupt- 
mittel zur Zubereitung der Mumien gewannen. Aus dem Höhenzuge zwischen 
beiden Thälern stehen, dem alten Memphis gegenüber, bei Gizeh die ersten und 
Lrößten Pyramiden. — 
Schon Herodot erklärte das ganze Nilthal für ein neues Gebilde, für ein 
Produkt des jährlich über feine Ufer tretenden „arbeitenden" Stromes. Diese 
bei unseren norddeutschen Strömen minder regelmäßige und nirgend so großartige 
Erscheinung hat am Nile ihren Grund in den vielen tropischen Regen, welche jeden 
Sommer die Hochlande Abyssiniens, sowie die in der Nähe des Aequators um den 
Ukerewe- und Luta-Nsige-See (aus welchen beiden Seen der Nil herausströmt) 
gelegenen Länder tränken, und die wieder aus den landwärts strömenden Dünsten 
des Mittelmeeres, welche von den glühenden Strahlen der Sahara nach Süden 
weiter getrieben werden, sowie des indischen Oceans, ihren Ursprung nehmen. 
Hier in den kälteren Luftschichten des Hochgebirges fallen sie nieder und bedingen 
ein Steigen des Stromes in seinem ganzen Laufe bis zum Meere, welches in 
Aegypten mit dem Anfange des Juli beginnt, Milte August so zugenommen hat, 
daß der Fluß seine Ufer überschreitet und bis Ende September im Zunehmen
	        
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