Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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Lom Strahl der Sonntagsfrühe war 
Des hohen Domes Kuppel blank. 
Zum Hochamt rufte dumpf und klar 
Der Glocken ernster Feierklang. 
Fern tönten lieblich die Gesänge 
Der andachtsvollen Christenmenge. 
Rischrasch! quer über'n Kreuzweg ging's; 
Mit Horridoh und Hussasa, 
Sieh da! Sieh da! kam rechts und links 
Ein Reiter hier, ein Reiter da! 
Des Rechten Roß war Silbersblinken, 
Ein Feuerfarbner trug den Linken. 
Wer waren Reiter links und rechts? 
Ich ahn' es wohl, doch weiß ich's nicht, 
Lichthehr erschien der Reiter rechts, 
Mit mildem Frühlingsangesicht. 
Graß, dunkelgelb der linke Ritter 
Schoß Blitz' vom Aug', wie Ungewitter. 
„Willkommen hier zur rechten Frist! 
Willkommen zu der edlen Jagd! 
Auf Erden und im Himmel ist 
Kein Spiel, das lieblicher behagt!" 
Er rief's, schlug laut sich an die Hüfte, 
Und schwang den Hut hoch in die Lüfte. 
„Schlecht stimmet deines Hornes Klang," 
Sprach der zur Rechten sanften Muths, 
„Zu Feierglock' und Chorgesang, 
Kehr' um! Erjagst dir heut' nichts Guts. 
Laß dich den guten Engel warnen, 
Und nicht vom Bösen dich umgarnen!" 
„Jagt zu, jagt zu, mein edler Herr!" 
Fiel rasch der linke Reiter drein. 
„Was Glockenklang? Was Chorgeplärr? 
Die Jagdlust mag euch baß erfreun! 
Laßt mich, was fürstlich ist, euch lehren, 
Und euch von jenem nicht bethören I" — 
„3a! Wohlgesprochen, linker Mann! 
Du bist ein Held nach meinem Sinn, 
Wer nicht des Waidwerks Pflegen kann, 
Der scher' ans Paternoster hin! 
Mag's, frommer Narr, dich baß verdrießen, 
So will ich meine Lust doch büßen!" 
Und hurre! hurre! vorwärts ging's, 
Feld ein und aus, Berg ab und an. 
Stets ritten Reiter rechts und links 
Zu beiden Seiten neben an. 
Auf sprang ein weißer Hirsch von ferne, 
Mit sechzehnzackigem Gehörne. 
Und lauter stieß der Graf ins Horn; 
Und rascher flog's zu Fuß und Roß; 
Und sieh! bald hinten und bald vorn 
Stürzt' einer todt dahin vom Troß. 
„Laß stürzen! Laß zur Hölle stürzen! 
Das darf nicht Fürstenlust verwürzen." 
Das Wild duckt sich ind Aehrenfeld, 
Und hofft da sichern Aufenthalt. 
Sieh da! Ein armer Landmann stellt 
Sich dar in kläglicher Gestalt. 
„Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen! 
Verschont den sauern Schweiß des Armen!" 
Der rechte Ritter sprengt heran 
Und warnt den Grafen sanft und gut, 
Doch baß hetzt ihn der linke Mann 
Zu schadenfrohem Frevelmuth. 
Der Graf verschmäht des Rechten Warnen 
Und läßt vom Linken sich umgarnen. 
„Hinweg, du Hund!" schnaubt fürchterlich 
Der Graf den armen Pflüger an. 
„Sonst hetz' ich selbst, beim Teufel, dich! 
Halloh, Gesellen, drauf und dran! 
Zum Zeichen, daß ich wahr geschworen, 
Knall't ihm die Peitschen um die Ohren!" 
Gesagt, gethan! Der Wildgraf schwang 
Sich über'n Hagen rasch voran, 
Und hinterher bei Knall und Klang, 
Der Troß mit Hund und Roß und Mann; 
Und Hund und Mann und Roß zerstampfte 
Die Halmen, daß der Acker dampfte. 
Vom nahen Lärm empor gescheucht, 
Feld ein und aus, Berg ab und an 
Gesprengt, verfolgt, doch unerreicht 
Ereilt das Wild des Angers Plan; 
Und mischt sich da, verschont zu werden, 
Schlau mitten zwischen zahme Heerden. 
Doch hin und her, durch Flur und Wald, 
Und her und hin, durch Wald und Flur 
Verfolgen und erwittern bald 
Die raschen Hunde seine Spur. 
Der Hirt, voll Angst für seine Heerde, 
Wirft vor dem Grafen sich zur Erde.
	        
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