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Wie ernstlich war ich dort ein Christ!
Wie brannt oft mein Verlangen,
Dich, der du unser Heiland bist,
Persönlich zu umfangen!
Wie freudig dacht ich an den Tod!
Ach! Gott, gedenck einmal der Noth,
Vor die ich, als ein Knabe,
Voraus gebetet habe.
Mit was vor Liebe, Trost und Treu
Konnt eins das andre klagen,
Wenn etwa blinde Tyranney
Das Stiefkind hart geschlagen!
Wir stritten leicht; doch aller Streit
War stündliche Versöhnlichkeit,
Und von der Eltern Gaben
Mußt jeder etwas haben.
Jetzt lern ich leider allzufrüh
Des Lebens Elend kennen;
Es ist doch nichts, als Wind und Müh,
Wornach wir sehnlich rennen.
Es gauckeln Reichthum, Stand und Kunst,
Die Wollust macht nur blauen Dunst.
Und was wir so begehren,
Muß allzeit Reu gebähren.
Mein eignes Kreuz ist überhaupt
Ein Bündniß aller Schmertzen
Und geht mir, weil es niemand glaubt,
Empfindlich tief zu Herzen.
Ach! Himmel, mindre meine Qual!
Wo nicht, so laß mich doch einmal
Nur eine Gunst erwerben,
Und mehre sie zum Sterben.
Gerhard Tersteegen.
(1697— 1769.)
BGild der christlichen Kindheit.
O liebe Seele, könntst du werden Der Menschen Ansehn gilt ihm wenig,
Ein kleines Kindchen noch auf Erden, Es fürchtet weder Fürst noch König;
Ich weiß gewiß, es käm' noch hier O Wunder! Und ein Kind ist doch
EOTT und sein Paradieß in dir. So arm, so schwach, so kleine noch.
Ein Kindchen ist gebeugt und stille; Es kennet kein verstelltes Wesen,
Wie sanft gelassen ist sein Wille! Man kann's aus seinen Augen lesen:
Es nimmt was ihm die Mutter gibt, Es thut einfältig was es thut,
Es lebet süß und unbetrübt. Und denkt von andern nichts als gut.
Man hebt es auf, man legt es nieder, Mit Forschen und mit vielem Denken
Man macht es los, man bind't es wieder: Kann sich ein Kind das Haupt nicht kränken;
Was seine Mutter mit ihm macht, Es lebt in süßer Einfalt so
Es bleibt vergnügt und süße lacht. Im Gegenwärtigen ganz froh.
Vergißt man sein, es ist geduldig, Ein Kindchen lebet ohne Sorgen
Bleibt allen freundlich und unschuldig; In seiner Mutter Schooß verborgen;
Durch Schmähen wird es nicht gekränkt: Es läßt geschehen was geschicht
An Lob und Ehr es auch nicht denkt. Und denkt fast an sich selber nicht.
Ein Kindchen kan in Lust noch Schätzen, Ein Kindchen kann allein nicht stehen,
Noch andern Sachen, sich ergötzen: Geschweige daß es weit sollt' gehen;
Man mach' es arm, man mach' es reich, Es hält die liebe Mutter fest,
Es gilt ihm alles eben gleich. Und so sich führ'n und tragen läßt.