Full text: Auswahl deutscher Dichtungen von dem Nibelungenliede bis zur Gegenwart (Abtheilung 1)

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Lehr, Sionitin, mich wieder; du lerntest himmlische Dinge! 
Komm, und leite den Schritt des Wankenden, deines Geweihten, 
Führe mich in des Gekreuzigten Nacht. Des Heiligthums Schauer 
Faßt mich! Ich will den Sterbenden sehn, ich will die gebrochnen 
Starren Augen, den Tod auf der Wange, den Tod in den schönsten 
Unter den Wunden! dich sehn, du Blut der Versöhnung! Er bebte, 
Rang mit dem Tode, da sank ihm sein Haupt, er blutete, neigte 
In die Nacht sein heiliges Haupt; da verstummte der Gottmensch. 
Von des Richtenden Antlitz flog Eloa herunter, 
10 Kaum den Unsterblichen sichtbar, so eilt' er herab durch die Himmel. 
Und er hielt in der Linken die himmlische Krone; die Rechte 
Hob die Posaune. Sie tönt; und es tönen die Welten im Kreislauf. 
Und der Nächste dem Unerschaffenen rief durch die Himmel: 
Feiert! Es flamm' Anbetung der große, der Sabbath des Bundes, 
Von den Sonnen zum Thron des Richters! Die Stund' ist gekommen! 
Feiert! Die Stunde der Nacht ist gekommen! Sie führen das Opfer. 
Und die Himmel umher vernahmen des Rufenden Stimme. 
Doch schon war er vorübergeeilt. Zween Winke, so schwebt er 
Über Golgatha. Um ihn herum versammeln der Erde 
20 Engel sich eilend. Er rief sie. Ihr strahlenwerfender Kreis schloß 
Jetzt um Eloa sich zu. Eloa stieg aus dem Kreise, 
Feierlich stieg er nieder auf Golgatha, stand auf der Höhe. 
Dreimal neigt' er nunmehr sein tiefanbetendes Antlitz 
Auf den Stanb des Hügels herab, dann erhub er sich, streckte 
Uber den Hügel aus den weitverbreiteten Arm, schaut' 
Auf den Messias herab, der in der Ferne begleitet 
Von Judäa, langsam gen Golgatha wandelt und schwerer 
Trägt, wie sein Kreuz, das Weltgericht! So sah ihn Eloa, 
Stand, hielt über den Hügel den hohen Arm hin und sagte: 
30 Höret mich, Himmel, und jauchzt! Abgrund, vernimm mich und bebe! 
In dem Namen des Auszusöhnenden! Deß, der zu bluten 
Kommt, des Versöhners Namen! Und in des Geistes, der Sündern 
Himmlisches Licht strahlt, weih' ich dich, Hügel, zum Tode des Sohnes! 
Heilig, heilig! heilig ist der, der sein wird und sein wird! 
Also weiht Eloa und staunt. Des Unsterblichen Schimmer 
Wurde Dämmrung, so stauuet' er! Nun verstummt er nicht länger, 
Senket gegen den Mann von Erde gefaltete Hände, 
Welcher die Tief' herauf sein niederbeugendes Krenz trägt! 
Siehet ihn unter dem wankenden Krenz, fällt nieder aufs Antlitz, 
40 Betet: O der dem Altare sich naht, zu sterben den schönsten 
Und den wunderbarsten der Tode, du Menschlicher! Schöpfer! 
Mitgeborner und Sohn des Geschlechts, das Gräber begraben! 
Bethlehems Kind! Du weintest, wir sangen dir Jubel! Du lässest 
Dich bis auf Golgatha nieder: die tiefre Verwundrung verstummt dir, 
Mehr zu jauchzen! O Sohn! Sohn Gottes und der Gebornen! 
Unerschaffner! Kein Endlicher sang da Jubel! Vollender 
Alles deß, so das Höchste, das Wundervollste, das Beste, 
Das ganz Herrlichkeit ist! Tiefangebeteter Gottmensch! 
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