Full text: [Abt. 8 = Für Prima] (Abt. 8 = Für Prima)

Hettner: Goethes italienische Reise. 
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daß ihm dieses Bewußtsein nicht von ihm selbst, sondern von niemand sonst 
als von Herder gekommen ist. Daß die französische Literatur „bejahrt und 
vornehm", daß sie, wie es weiter heißt, von dem Geiste gesellschaftlichen 
Anstandes und gesellschaftlicher Auszeichnung beherrscht sei, daß die Ernte 
langst schon eingebracht und daß daher den größten Talenten des achtzehnten 
Jahrhunderts nur eine Nachlese übrig geblieben, daß die Dichtung der 
Franzosen kalt, ihre Kritik vernichtend, ihre Philosophie abstrus und doch 
unzulänglich sei — das alles ist deutlich der Nachhall der Ansichten, welche 
Herder sich gebildet hatte und welche er ohne Zweifel gegen seinen jungen 
Freund jetzt noch beredter und leidenschaftlicher entwickelte, als er für sich 
selbst auf den Blättern seines Reisejournals getan hatte. Gerade auch in 
Herders Straßburger Briefen finden sich einige der heftigsten und einige 
der wegwerfendsten Äußerungen über die Landsleute Voltaires. Er be¬ 
richtet unter anderem an Merck über den zweiten Teil von Delisle de 
Sales' 1770 anonym erschienenem Buche Do la philosophie de la nature 
und findet darin „auf dem Erdboden nichts als eine stumpfe Psychologie, 
laug, ekel und einförmig". So urteilte er über ein französisches Werk, das 
dem Materialismus Opposition machte, und lobte sich dagegen den auf 
ästhetischen Anschauungen ruhenden optimistischen Pantheismus des Eng¬ 
länders Shaftesbury. Sein Urteil über das berüchtigte Système de la 
nature wird noch härter gelautet haben; wir dürfen annehmen, daß es auf 
das hinauslief, was Goethe als die Meinung seiner Freunde vorträgt, in¬ 
dem er von dem gespenstigen Eindrücke spricht, den diese hohlen Abstrak¬ 
tionen, diese „triste, atheistische" Philosophie auf die dem Kultus der leben¬ 
digen Natur ergebene Jugend gemacht habe. 
Nicht von Philosophie ebendeshalb, sondern am meisten jedenfalls von 
Poesie und immer wieder von Poesie war zwischen Herder und Goethe 
die Rede. 
36. Goethes italienische Reise. 
Von Hermann Hettner. Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert. 
Braunschweig, 1869. 
Fast sah es wie eine Flucht aus, als Goethe am 8. September 1786 
aus Karlsbad nach Italien aufbrach. Allen außer dem Herzog hatte er aus 
diesem Vorhaben ein Geheimnis gemacht; und selbst der Herzog kannte an¬ 
fänglich das Ziel der Reise nicht. Vorzeitiges Kundwerden, fürchtete Goethe, 
könne die Ausführung erschweren, wenn nicht vereiteln. 
Goethe wünschte eine längere Entfernung von Weimar zum Teil aus 
Verdruß an der Äußerlichkeit der Verwaltuugsgeschäfte, vor allem aber, weil 
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